Langsamkeit im kollektiven Rhythmus

Als individuelle Lebenskunst ist „Entschleunigung“ heute angesagt: Teil 4 der taz-Serie

Slow Food ist das bekannteste Beispiel: Die Beschleunigungsdynamik der Globalisierung ist begleitet von Gegenströmungen, die in der Entdeckung der Langsamkeit eine Alternative sehen. Als gesellschaftspolitische Alternative jedoch ist Entschleunigung in der Programmatik politischer AkteurInnen nicht explizit verankert. Nicht einmal ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen ist mehrheitsfähig – obwohl es nachweisbar die Verkehrssicherheit erhöhen und die CO2-Emissionen senken würde.

Möglich wird Beschleunigung durch neue Transport- und Produktionstechnologien mit dem revolutionären Wechsel der energetischen Grundlagen der Gesellschaft vom agrarischen Solarenergiesystem zum fossilen Energiesystem im Zuge der industriellen Revolution. Die durch die Verbrennung von Kohle, Gas und Erdöl angefeuerten Antriebssysteme erlauben nun enorme Produktivitätssteigerungen und sensationelle Wachstumsprozesse.

Eine besondere Qualität der Beschleunigung ermöglichen die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien. Mit der Möglichkeit der Kommunikation in Echtzeit erleben die internationalen Finanzmärkte einen enormen Bedeutungszuwachs, Unternehmen können sich netzförmig strukturieren, neue Formen der Kriegsführung werden entwickelt.

Zugleich verdichtet Beschleunigung Arbeits- und Produktionsprozesse. Immer neue Methoden der Arbeitsgestaltung werden entwickelt. Sie prägen im Zuge der Subjektivierung von Arbeit zunehmend individualisierte Anforderungen der Selbstführung und die Mikro-Ökonomik der Gefühle.

Aber es gibt Grenzen: Der Verbrauch von Ressourcen hat längst einen Umfang und eine Geschwindigkeit erreicht, die weit über die Zeitdauer von Neubildung oder Absorption hinausgehen. Wenn Arbeitsprozesse zu dicht werden, leiden Regeneration und Gesundheit von Menschen ebenso wie Sicherheit und Qualität der Arbeit. Wenn ein Diktat der Kurzfristigkeit dem Menschen den Verzicht auf langfristige Lebensplanung und soziale Bindungen abverlangt, steht Lebensqualität infrage. Bereiche wie Pflege, Erziehung und Versorgung geraten im Zuge ihrer Ökonomisierung in Konflikt mit dem Tempodiktat.

Das hat dazu geführt, dass der Zeitmanagement-Diskurs einer Entschleunigung das Wort redet und die Abstimmung des Tempos auf physiologische und psychologische Rhythmen zur Kunst der Lebensführung erklärt. In diesem Sinne wird Entschleunigung aber zu einem Element der Zeitkontrolle, das letztlich den Individuen überantwortet wird.

Slogans wie Slow down. Pleasure up dethematisieren Machtunterschiede zwischen ZeitgeberInnen und ZeitnehmerInnen sowie gesellschaftlich unterschiedlich verteilte Potenziale der Gestaltungsmacht. Globalisierungsprozesse beispielsweise verstärken die Spaltung in eine globale und hochmobile Elite und den Rest, der zwangsweise entschleunigt an den lokalen Raum gebunden bleibt.

Sozial-ökologische Zeitpolitik erfordert es daher einerseits, die Gestaltung kollektiver Rhythmen und sozial verträglicher Zeiten als öffentliches Gut und Feld politischer Gestaltung anzuerkennen. Andererseits besteht die Herausforderung der Entschleunigung darin, die sozial-metabolische Basis von Ökonomie und Gesellschaft langfristig auf ein Solarenergiesystem zu orientieren. DAGMAR VINZ