ausgehen und rumstehen
: Zu viele Socken verhindern die existenzielle Ballung

Das war ein doppelter Punch. Und es hätte überhaupt keiner sein müssen.

Mit taz-Mitarbeiterin Meike Jansen hatte ich mich schon seit Monaten seit dem Treffen beim Launch der Auktionsgalerie „Haunch of Vanison“ zwischen den gerösteten Austernhäppchen darauf geeinigt: He, so richtig was in die Fresse, nicht nur Crème brulée, die Existenz in einer Ballung spüren, in der Ballung einer Faust, die durch den gesamten Saal überreal dem Gegner in den Lichtkasten knallt, darauf sind wir diesen Winter scharf. Eine Aufregung, die keine Überlegung mehr zulässt, nur Action. Boxen, das wollen wir sehen, ach was, viel mehr: Jede regenbogenfarbene Schweißtropfenkaskade, wie sie vom Kinn abspritzt, soll uns mit Alarm durchschießen.

Boxen, das ist, wenn die Alarmsirenen im eigenen Körper ohne Unterlass kreischen. Und keiner soll sagen, die Zuschauer würden die im Ring nur stellvertretend antreten lassen. Nichts da, ich habe mir beim Zusehen vor lauter Fieber meine Handfläche blutig geballt. Und das war damals nur ein Novelty-Schaukampf mit Schacheinlagen. „Guck dir das an“, habe ich völlig atemlos meine Begleitung angebrüllt, „Blut. Boxen, das ist – wie heißt das noch? – komprimiertes Leben. Nicht so ’n aseptischer Kontemplationsscheiß.“ Dann habe ich mit der unblutigen Hand meine Jeans an der vogelverzierten Westerngürtelschnalle hochgezogen, aber nur so weit, dass sie hinten noch auf den Boden aufstößt.

Seitdem packt mich der Dreiklang Boxen-Blut-Leben jedes Mal wieder, wenn ich die Westernschnalle auf meinem Nachttisch stehen sehe, gegen eine Flasche mit Bachblütentropfen gelehnt. Papageien und Kolibris. Das durchpeitscht mich schon beim Aufstehen mit Vitalismus – und ist nicht so eine Teenager-Peinlichkeit, wie der Dreiklang Selbstverstümmelung-Blut-Leben, dem ich mal frönte, als ich dachte, ich wäre für diese Welt zu unsensibel und müsste meine Empfänglichkeit durch Einlassschlitze in der Haut erhöhen. Jedenfalls freue ich mich auf den ausstehenden Kampf, für den Meike die Tickets organisiert hat. Nichts stachelt meinen Jahresendspurt so an wie die Aussicht, mit blutig gekrallter Handfläche unter dem Weihnachtsbaum zu sitzen.

Dann kommt der doppelte Punch dazwischen. Den ersten Punch versetzen mir die Büroferien. Aufstehen ohne rausgehen. Urlaub vom Job heißt eine Reise zum Ich im Körper der Wohnung. Und diese Reise zwingt einen auf die Knie. Ganz wortwörtlich. Die Staubknäuel zwischen den Heizungsrippen zittern in der aufstrebenden Hitze. Sie sind muffig schwarz wie Masturbation mit einer alten Socken, die man im Gebüsch gefunden hat. Ich trage die beige melierten Dickstrumpfsocken, die meine Oma mir gestrickt hat, den grauen Dickstrumpfpullunder, den mir eine gepflegte alte Dame beim Mutter-und-Kind-Flohmarkt im Böcklerpark geschenkt hat, eine ochsenblutrote Satin-Spiderman-Unterhose von H&M, blaue Skisonnenbrille, ein Piratenkopftuch mit abstürzenden Fröschen wie in der Apokalypse (weiß ich seit „Magnolia“) und robbe mit einer Maglite-Taschenlampe zwischen den Zähnen über die Auslegeware. Achtung, rechts ein Spinnengerippe an der Fußleiste, voraus ein Rippenunterhemd mit Nasenblut, Geschwader von verwahrlosten Socken im Nacken.

Das Telefon klingelt grell durchs Dämmerlicht. Ich hechte vor, leuchte dem Ungetüm mit der Taschenlampe gezielt ins Zehnauge und breche ihm ohne Vorwarnung die Extremität. Das war der zweite Punch. Dann krieche ich in die Abseite, baue eine Falle auf aus altem Mörtel, Möbellack (von den Vormietern) und Gummistrapsen, die beim Einkauf mit dem Fahrrad so praktisch sind. Und warte auf das Anrücken des Vergeltungskommandos.

Entschuldige, Meike, dass ich darüber den Boxkampf vergessen habe. JAN JOSWIG