Götterspeise

STREETFOOD Mit frittierten Teigbällchen, den Acarajé, werden in Brasilien allerhand Gottheiten geehrt

VON ANDREAS BEHN

Einst war Acarajé eine Speise, die nur für afrobrasilianische Götter zubereitet wurde. Doch Iansã, die Candomblé-Göttin, die für Wind, Sturm und Donner zuständig ist, bat ihre Gläubigen, das köstliche Acarajé nicht für sich zu behalten. So entstand ein beliebter Imbiss, der bis heute als heiliges Essen gilt: in Fett gebackene Teigbällchen aus Bohnenmus mit einer reichhaltigen Füllung aus Krabben, Erdnusspaste und Okraschoten.

In der Stadt Salvador, in der sich 80 Prozent der Bewohner als Nachfahren der Sklaven bezeichnen und afrobrasilianische Religionen besonders präsent sind, wird Acarajé an fast jeder Straßenecke verkauft. Neben dem Fischeintopf Moqueca ist Acarajé die wichtigste kulinarische Spezialität von Salvador, der Hauptstadt des Bundesstaates Bahia im Nordosten Brasiliens.

Auch in anderen Städten Brasiliens gehört Acarajé zum Stadtbild. Denn Anhängerinnen des Candomblé gibt es im ganzen Land. Angeboten wird es meist an fahrbaren Ständen. Immer sind es Baianas, Frauen in traditioneller farbenfroher Tracht mit weiten Röcken, einer weißen Bluse, einem Turban, viel Schmuck, die den Imbiss frisch zubereiten.

Für den Teig wird Bohnenmus mit Zwiebeln und Salz vermengt. Verwendet wird die weiße Fradinho-Bohne, Augenbohne, die aus Afrika stammt. In Wasser eingeweicht, wird sie ohne Haut vermahlen. Aus dem festen Teig werden faustgroße Bällchen geformt und in siedend heißem Dendê-Palmöl gebacken.

Historikern zufolge stammt das Rezept weder aus Brasilien noch aus Afrika, sondern sei dem für Falafel ähnlich und wurde vor über tausend Jahren von arabischen Seefahrern nach Westafrika importiert. Dort wurden die Kichererbsen dann durch Augenbohnen ersetzt.

Gefüllt wird das Teigbällchen mit Vatapá – einer Paste aus Erdnüssen, Ingwer, Kokosmilch, Fisch und Krabben. Das dazu gereichte Caruru wiederum ist ein Okra-Eintopf, der meist auch Krabbenmehl, Nüsse und Knoblauch enthält. Beide Gerichte sollen wie die Teigbällchen mit dem Sklavenhandel von Afrika nach Brasilien gekommen sein. Je nach Geschmack werden noch ganze Krabben, eine Essigsoße aus Zwiebeln, Paprika und Tomaten oder eine scharfe Soße hinzugefügt. Jeder bestellt den Acarajé nach der eigenen Vorliebe, vom fast trocknen Bällchen bis hin zum „com tudo – mit allem“, also gefüllt mit Vatapá, Caruru, Krabben und beiden Soßen.

Nicht nur spirituell, auch ökonomisch spielt Acarajé in Brasilien eine große Rolle, vor allem für die Anhängerinnen des Candomblé. „Tausende Frauen leben vom Verkauf des Acarajé, und mit ihnen ganze Familien“, sagt Rita Santos. Sie ist die Vorsitzende der Associação das Baianas de Acarajé (ABAM) in Salvador – einer Art Gewerkschaft der Imbissverkäuferinnen. Auch sie trägt Tracht. Um die Existenz der Frauen nicht zu gefährden, werde das Ritual der Zubereitung und das Verkaufsrecht so geschützt wie eine Marke im Copyright, erklärt Santos. „Acarajé ist mittlerweile als brasilianisches Kulturgut anerkannt. Das bedeutet auch, dass bei der Herstellung und dem Verkauf Regeln beachtet werden müssen, die die religiöse Herkunft berücksichtigen.“

Hintergrund ist der rapide Zulauf, den evangelikale Kirchen und Sekten in Brasilien seit Jahren verzeichnen. Zwar ist Brasilien immer noch das weltweit größte katholische Land, doch den verschiedenen protestantischen Strömungen gehört mittlerweile nahezu ein Viertel der BrasilianerInnen an. Der Candomblé wird von den christlichen Glaubensrichtungen diskriminiert, richtig feindselig verhalten sich aber meist nur Evangelikale. Einige von ihnen neideten den Baianas den Erfolg ihrer Acarajés. Geschäftstüchtig erfanden sie die „Bolinhos de Jesus“, die Jesusbällchen. Ein Imbiss, der genauso schmeckt, aber ohne Turban und Candomblé-Gottheiten verkauft wird.

„Wir haben vor Gericht durchgesetzt, dass Acarajé nicht mehr unter dem Namen ‚Bolinho de Jesus‘ verkauft werden darf“, sagt Rita Santos kämpferisch. Wobei die Durchsetzung nicht überall funktioniert. „In Salvador weigert sich der konservative Bürgermeister, die Richtlinie umzusetzen. Deswegen kannst du hier Jesusbällchen kaufen. In Rio de Janeiro sorgen Kontrollen dafür, dass es nur echten Acarajé als Imbiss gibt.“

Graça da Cida, die auf dem Largo da Carioca, einem belebten Platz im Zentrum von Rio de Janeiro, Acarajé verkauft, bestätigt: „Solche Probleme haben wir hier nicht, niemand macht uns unseren Acarajé streitig.“ Auch sei es falsch, dass alle Acarajé-Verkäuferinnen dem Candomblé angehören müssen. „Früher waren die Regeln strenger“, sagt Graça lächelnd. Seit 30 Jahren gehört sie zu den Baianas und verkauft die heilige Speise.

9 Reais – 3 Euro – kostet ein Acarajé „mit allem“. Nicht einfach zu essen ist es, denn Pasten und Krabben quillen reichlich aus dem Teigball. Es schmeckt salzig, nach Fisch, scharf, bei jedem Bissen ein anderer Geschmack. Bestimmt 20, 30 Stück verkauft Graça in der Stunde.

Ob auch Touristen bei ihr einkaufen? „Nein. Die sind zu geizig!“ Graça kommt plötzlich in Fahrt. „Sie gucken lange und neugierig, machen Fotos und halten uns für etwas Besonderes. Aber einen Acarajé bestellen sie nie.“

Letztes Jahr machte Acarajé erneut Schlagzeilen, aber zum ersten Mal auf internationalen Sportseiten. Es ging um die Fifa-Auflagen, die auch in Salvador die Stadionbetreiber verpflichteten, bei der Fußball-WM nur Imbissstände der offiziellen Sponsoren zuzulassen. Acarajé im McDonald’s-Pappbrötchen? Das ging den Frauen der ABAM zu weit – denn seit Jahrzehnten verkaufen sie ihre Teigbällchen in den Gängen des Stadions.

Sie klagten dagegen, dass sie im Namen des Weltfußballs von ihren Verkaufsplätzen vertrieben wurden. „Wir haben schließlich gewonnen, die Fifa und der Bürgermeister lenkten ein“, erinnert sich Rita Santos. „Soweit ich weiß, war es der einzige Fall, in dem die Fifa ihren Willen bei der WM in Brasilien nicht durchsetzen konnte.“

Die Essecke: Unsere KorrespondentInnen erzählen hier jeden Monat, was man in ihren Ländern auf der Straße isst. Philipp Maußhardt schreibt über vergessene Rezepte, Sarah Wiener kocht aus einer Zutat drei Gerichte, Jörn Kabisch spricht mit PraktikerInnen der Küche