Perspektiven auf das Normsubjekt

FESTIVAL Ist der weiße Hetero-Mann wirklich in der Krise? Oder entspricht er noch immer einer Norm, die niemals ernsthaft bedroht war? Das HAU-Theater wagt eine künstlerische Zwischenbilanz

Das Festival hinterfragt die Figur, die die Kulturwissenschaften als „weißen heterosexuellen Mann“ beschreiben. Ausgangspunkt war die Produktion „Straight White Men“ von Young Jean. Der Regisseur Luk Perceval und internationale Performer wie Mamela Nyamza oder Ana Borralho & João Galante stellen u. a. die Frage, ob wir wirklich einer Krise des melancholischen heterosexuellen männlichen Subjekts beiwohnen – oder ob seine Hartnäckigkeit nicht gerade in der Fähigkeit besteht, sich selbst permanent in Zweifel zu ziehen und zu reflektieren. Künstlerische Beiträge u. a. von Marlene Freitas, Andros Zins-Browne und Josep Caballero García, Frances Stark sowie von Jens Friebe.

■ Männlich Weiß Hetero – Ein Festival über Privilegien: HAU 1–3, 21. 4.–3. 5., Ticketpreise gestaffelt, www.hebbel-am-ufer.de

VON INES KAPPERT

Es ist eine Sensation: Hillary Clinton bewirbt sich mit einem Videoclip als nächste US-Präsidentin, und der weiße heterosexuelle Mann kommt dort erst an 5. Stelle zu Wort. So wird der Wahlkampf, der weltweit die größte Beachtung überhaupt findet, auch zu einem Kampf gegen die Vorherrschaft von „Männlich, weiß, hetero“. Natürlich stehen die Republikaner genau für diese bislang zwar umstrittene, nie aber ernsthaft bedrohte Norm. Stimmt es also doch: Ist der weiße Hetero in der Krise und sein Sheriff-Stern am Sinken?

Das HAU widmet sich mit seiner Reihe mit „Männlich Weiß Hetero. Ein Festival über Privilegien“ vom 21. 4.–3. 5. 2015 dieser Frage und zieht mithilfe von Theaterstücken, Performances und Diskussionsveranstaltungen eine Zwischenbilanz. Dabei geht es nicht nur um die Figur des weißen Mannes, sondern auch um weibliche und nichtweiße Perspektiven auf das Normsubjekt. Im Rahmen einer Podiumsdiskussion „fe_male_gaze. Blicke auf Männer“ diskutierten die Künstlerinnen Simone Dede Ayivi, Tatjana Turanskyj, Chris Tedjasukmana miteinander. Die Moderation übernimmt Stefanie Lohaus, die Gründerin und Mitherausgeberin des Missy-Magazins.

Ob der normale Mittelschichtsmann das viele Jahre übersehene, aber eigentliche Opfer der westlichen Industriegesellschaften ist, diese Frage hat übrigens Geschichte. Um die Jahrtausendwende, also vor rund 15 Jahren, wurde sie massiv in der Öffentlichkeit diskutiert. Gefeierte Autoren wie Michel Houellebecq, der „Elementarteilchen“ und „Ausweitung der Kampfzone“ schrieb und darüber reich und berühmt wurde, oder megasellende Blockbuster wie „Fight Club“ von David Fincher oder „American Beauty“ von Sam Mendes lieferten Bilder des weißen Hetero-Trottel-Mannes und waren sich sicher: Eine Gesellschaft, die den normalen Mann nicht mehr glücklich zu machen vermag, ist zutiefst erkrankt und steuert auf ihren Untergang zu. Der Krisenmann ist seitdem aus dem Repertoire der Populärkultur nicht mehr wegzudenken.

Das erste Wahlkampf-Video von Hillary Clinton nun erzählt eine andere Geschichte. Nämlich die einer glücklichen Zukunft – ohne den weißen Hetero als Zentrum. Es stellt Familienmodelle vor, die nicht mehr um den weißen Mann als Familienoberhaupt kreisen. Und präsentiert seine Relativierung als Kern einer zeitgemäßen Demokratie. Erst die Deprivilegierung des weißen Hetero und die Relativierung des Ernährermodells geben Migranten, Schwulen, Lesben den nötigen Raum, ihr Familien- und Lebensmodell zu leben und damit sichtbar zu werden. Erst dann entstehen Familien überall dort, wo Erwachsene dauerhaft Verantwortung für Kinder übernehmen möchten. Und nicht nur dort, wo der Macho die Familienkasse füllt.

Der Krisenmann ist aus der Populärkultur nicht mehr wegzudenken

Doch trotz dieser nicht nur mit Hillary Clinton werbewirksamen Relativierung: Auf der ökonomischen Ebene ist die Vormacht des weißen Hetero bislang weitgehend ungebrochen. So relativierte 2008 die Finanzkrise die Rede von dem Mann an und für sich als das Opfer an und für sich. Denn nun wurde für die Mittelschicht eine Managerkaste sichtbar, die aggressiv-dominante Männlichkeit in Reinkultur lebte und sich damit eine goldene Nase verdiente. Das ist bis heute so. Nicht zuletzt das Beharren darauf, dass Führungsetagen zu etwa 90 Prozent mit mehrheitlich weißen und heterosexuellen Männern besetzt sind, zeigt, dass sich das männliche Normsubjekt auf ökonomischer Ebene gut zu verteidigen und zu reproduzieren weiß. Die gerade von der Familienministerin Schwesig durchgesetzte 30-Prozent-Quote für Aufsichtsräte wird daran nichts ändern.

Wir haben es also mit einem Widerspruch zu tun: Einerseits genießt der weiße Hetero einen so schlechten Ruf wie selten zuvor, und alternative Subjekte, Lebens- und Liebesmodelle sind sogar so populär wie nie zuvor. Andererseits hat sich an der Ressourcenverteilung kaum etwas geändert: Niemand verdient so viel wie er – und bekanntlich wird Teilhabe in kapitalistischen Gesellschaften entlang der Finanzkraft definiert.

Exakt dieser Widerspruch erklärt auch, warum der weiße Hetero so veränderungsunwillig ist. Denn schlechte Rede und Rufschädigung hin oder her – wer gibt schon freiwillig seine Privilegien auf? Und der weiße Mann hat etwas zu verlieren, nämlich Macht und Geld, das ihm noch immer in schwindelerregender Unabhängigkeit von seiner Leistung (auch von Frauen) zugesprochen wird. Aber er hat auch etwas zu gewinnen, nämlich den engen Kontakt zu seinen Kindern und den Kontakt zu Frauen und Nicht-Weißen in Augenhöhe. Ob ihm das reicht, um den Reformstau bei sich und seinen Genossen zu beenden? Wir werden das beobachten.