BEIM PHYSIOTHERAPEUTEN
: Mann mit Händen

B. ist enttäuscht, er hat blumigere Worte parat

Woche um Woche trage ich meine wehe Rückseite in den Behandlungsraum. Ein bisschen stolz bin ich auf das, was ich erschaffen habe: einen monolithischen Block an der Stelle, wo ein Rücken sein soll. „Terror“ nennt mein Therapeut den. Vielleicht aus Respekt. Mitgefühl. Fachlichem Interesse. Oder eben nur aus Versehen.

Dabei erzählte mir neulich eine Kollegin, ihre Ärztin bestehe darauf, eigene Körperteile nur mit netten Namen zu belegen. Positives Körpergefühl und so. „Das ist nicht Ihr Scheiß-Knie“, wird sie nicht müde zu sagen. – „Ja aber was denn dann?“, fragt die Kollegin mich verzweifelt. Dann verdreht sie mit Schwung die Augen.

Bei mir hingegen läuft es. Ich bemühe mich, still zu sein. Und still zu liegen. Manchmal stöhne ich leise. Die Angst, dass meine Wirbelsäule brechen könnte, behalte ich für mich.

Wenigstens Freund B. ist hoch erfreut, dass ich einen Physiotherapeuten in Neukölln habe. Denn er hat auch so einen. Er reißt die Augen auf. Sehr weit und sehr neugierig. „Ehm“, sage ich. Und schweige. „Was genau?“, frage ich. – „Alles!“, ruft B. Er meint, es befruchte unsere Freundschaft, wenn wir uns einen Therapeuten teilten.

Aber ich habe den Namen vergessen. „Er hat Hände“, beginne ich also eine zögerliche Beschreibung. Und nach einer Pause: „Und Turnschuhe.“ B. ist enttäuscht, er hat blumigere Worte parat. Details. Überhaupt findet er seinen Therapeuten so schön, dass er in seiner Anwesenheit nicht spricht, nur guckt. Ich zucke mit den Schultern.

Schon beim nächsten Treffen revidiere ich. Ich habe genauer hingeschaut. Jetzt blicke ich tief in mein Bierglas und sage: „Ich glaube, ich bin bei deinem Physiotherapeuten.“ B. lächelt nur und zieht die Schultern hoch. Er sei bereits weitergezogen, sagt er, zu einem anderen. Neue Fangopackungen, andere Neuköllner Praxis. SONJA VOGEL