Extrem-DeutschING

ANGLIFIZIERUNG Englischsprachige Master-Studiengänge sind unter Ingenieuren umstritten: Was bleibt vom Dipl. Ing. ohne „Dampfturbine“ oder „Staustrahltriebwerk“?

Qualität, Nachhaltigkeit, Zuverlässigkeit: „Die kulturelle Erwartungshaltung kommt wesentlich nachdrücklicher auf Deutsch durch“

CAMERON TROPEA, MASCHINENBAU-PROFESSOR

VON ANSGAR WARNER

Im Kampf um die Köpfe steht es eins zu null für Deutschland. Mit mehr als 300.000 eingeschriebenen „Internationals“ läuft der akademische Austausch auf Hochtouren: „Noch nie waren an deutschen Hochschulen mehr ausländische Studierende eingeschrieben als heute“, freut sich DAAD-Präsidentin Margret Wintermantel. Und ist sich sicher: „Ausländische Studierende kommen vor allem wegen der hohen Qualität der deutschen Hochschulen“. Alleine an FU, HU und TU , den drei großen Berliner Universitäten, sind 20.000 akademische Touristen aus aller Welt eingeschrieben. Knapp jeder fünfte Studierende an der Spree kommt damit von anderswo.

Was auch daran liegt, dass Bildung und Forschung „made in Germany“ für die Gäste sehr günstig aufgetischt wird: keine Studiengebühren! Neuerdings kommt sogar noch ein weiteres „Incentive“ dazu: englischsprachige Masterstudiengänge, die sich vielerorts ohne oder mit nur geringen Deutschkenntnissen absolvieren lassen. Dem DAAD zufolge meistert schon fast jeder zweite „Bildungsausländer“ den Abschluss auf diesem Weg.

Gerade in technischen Fächern wie etwa Bauingenieurwesen oder Maschinenbau regt sich dagegen Widerstand. Was bleibt vom Dipl. Ing., wenn er nicht nur zum „Master of Engineering“ mutiert, sondern den Studierenden wunderschöne Wörter wie Dampfturbine, Staustrahltriebwerk oder Wirkungsgrad nie zu Ohren kommen, geschweige denn aussprechen können?

Zu den Kritikern der Anglifizierung gehört mit Cameron Tropea ausgerechnet ein ehemaliger „Bildungsausländer“, doch der an der TU Darmstadt lehrende Maschinenbau-Professor weiß gute Gründe anzuführen: „Insbesondere im Maschinenbau steckt ein Teil des Geheimnisses hinter dem Begriff ,German Engineering‘ sicherlich in der Kultur der Deutschen“, meint der gebürtige Kanadier. Erwartungen an Qualität oder Dinge wie Nachhaltigkeit oder Zuverlässigkeit seien nicht so leicht zu übertragen: „Diese kulturelle Erwartungshaltung kommt wesentlich nachdrücklicher auf Deutsch durch, nicht unbedingt nur im Hörsaal, aber ganz sicher im Alltag“, so Tropea. Über das Vokabular hinaus stecke in der Sprache auch, wie wir Fragen stellen und welche Fragen wir stellen.

Nüchterner sieht das Hans-Ulrich Heiß, Informatik-Professor an der TU Berlin. Negative Auswirkungen beim Verzicht auf Deutsch als Unterrichtssprache befürchtet er nicht: „Natürlich prägt die Sprache unser Denken, ich glaube aber nicht, dass die Unterrichtssprache einen signifikanten Einfluss auf die Qualifikation der Absolventen hat.“ Zumindest sei das in den Ingenieurwissenschaften nicht so.

Außerdem müsse man schon jetzt an die Bildungslandschaft der Zukunft denken: „Wir haben in den MINT-Fächern – Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik – auch mittel- und langfristig Nachwuchsprobleme, das heißt, wir müssen mehr gute Studierende aus dem Ausland gewinnen.“ Dabei spielten passende Sprachangebote eine zentrale Rolle: „In Englisch studierbare Angebote senken deutlich die Hürde, denn sich die deutsche Sprache auf dem für ein Studium erforderlichen Niveau anzueignen dauert Jahre“, so Hans-Ulrich Heiß.

Maschinenbauer Cameron Tropea sieht das anders: „Bildungsausländer, die hier einen Maschinenbauabschluss anstreben, wollen in der Regel sowieso Deutsch lernen, oder sie haben bereits angefangen, die Sprache zu lernen“. Bekämen sie alle Vorlesungen auf Englisch angeboten, fiele aber eine Motivation mehr weg, Deutsch zu büffeln. „Wir würden ihnen damit kein Gefallen tun“, befürchtet Tropea.

Beim DAAD nimmt man im derzeitigen Sprachenstreit eine eher vermittelnde Position ein, feste Regelungen lehnt man ab: „Wir unterstützen eine differenzierte Mehrsprachigkeit“, erklärt Ursula Paintner von der DAAD-Strategieabteilung. Als internationale Wissenschaftssprache sei Deutsch nicht mehr so wichtig wie früher. Andererseits gebe es auch einen Zusammenhang zwischen Studienerfolg und Sprachfähigkeit: „Der Studienerfolg hat sehr viel mit der sozialen Einbindung zu tun – wer Deutsch spricht, kann den Alltag besser bewältigen“, weiß Paintner. Deswegen sei es wichtig, den Gaststudierenden entsprechende Angebote zu machen, natürlich rein fakultativ.

Doch muss die akademische „Willkommenskultur“ nicht auch noch mehr bieten als nur warme englische Worte? Ja, findet Andreas Keller. Die Sprachdebatte, so der stellvertretender Vorsitzender der Bildungsgewerkschaft GEW, lenke von den eigentlichen Herausforderungen bei der Internationalisierung des Studiums ab: „Wir müssen die ausländerrechtlichen Bestimmungen für Studierende aus Nicht-EU-Ländern liberalisieren und die Anerkennung von ausländischen Schulabschlüssen und Studienleistungen erleichtern“, fordert Keller. Zudem brauche man eine bessere soziale Infrastruktur und mehr Beratungsangebote.