DAS DING, DAS KOMMT
: Nur noch ein Schatten

Das BUCH als „liebevoll Gedrucktes“ stellen unabhängige Verlage in Lübeck vor. Und diskutieren darüber, welche Chancen es in Zukunft noch hat

Bibliophobie. Die Angst vor Büchern gibt’s wirklich. Eine ehemalige Kommilitonin hat neulich erzählt, dass sie von heute auf morgen alle ihre Bücher aus der Wohnung geworfen hat. Macht die häufigen Umzüge angenehmer, sagt sie. Und die Wohnung riecht nicht mehr so staubig. Und überhaupt: Warum soll man ein Buch behalten, das man schon gelesen hat?

Vom Sohn meines ehemaligen Politologie-Professors wird gern diese Geschichte erzählt: Weil sein Vater ihm jedes Mal, wenn er ihn etwas Persönliches gefragt hat, ein Buch in die Hand gedrückt hat, kann der Mann kein mehr als 50 Seiten umfassendes Druckerzeugnis in seiner Wohnung ertragen. Erinnert ihn zu sehr an die arg trockene Form der Zuneigung, die ihm väterlicherseits zukam. In Räumen mit Büchern drin schläft er schlecht. Heute arbeitet er als Unternehmensberater.

Weit verbreitet ist derart bewusste Bibliophobie sicher nicht. Aber sie hat eine lange Geschichte. „Bibliomania“ hieß 1809 die „bibliografische Romanze“ Thomas Frognall Dibdins, in der der Engländer in Form fiktionaler Dialoge zwischen Buchverrückten – und mit einem bemerkenswert ausufernden Fußnotenapparat zum Thema Sammelwut – die Konturen einer krankhaften „Book Madness“ seiner Zeit skizziert und bibliophobe Vorschläge zur Heilung des Wahnsinns macht.

So ganz ernst war das natürlich nicht gemeint. Noch im selben Jahr antwortete Dibdin sich selbst unter dem Pseudonym Mercurius Rusticus mit einem kleinen Pamphlet. „Bibliophobia“ hieß das und stellte im Zuge einer „bibliopolitischen Pilgerreise“ durch die Bodleian Library der Universität Oxford fest, dass die „Bibliomanie gar nicht mehr ist“. Bücher seien nur mehr ein „Schatten dessen, was sie einmal waren“. Die Literatur und der Buchhandel befänden sich in einer Depression. Drei Jahre später gründete Dibdin den ersten „Book Club“.

In gewissem Sinne sind die „Buchmacher“, die am Freitag und Samstag in Lübeck ihre Bibliophilie ausstellen, also Erben Dibdins. In der St.-Petri-Kirche stellen „einige der besten unabhängigen Verlage“, so die Ankündigung, „liebevoll Gedrucktes“ und ihre Autoren vor, unter anderem die Edition Nautilus, der Mairisch-Verlag, Jung und Jung oder der Verbrecher Verlag.

Und zum Abschluss wird auf einem Podium diskutiert, wie es um die „Chancen der konzernunabhängigen Verlagshäuser“ in Zukunft bestellt ist. Denn die liebevollen Buchmacher sehen sich konfrontiert mit „sich dramatisch wandelnden Lesegewohnheiten“ und der medialen Immer-und-überall-Verfügbarkeit von Literatur: mit einem Schatten dessen, was Bücher einmal waren.  MATT

■ Fr, 24. 4., ab 17 Uhr und Sa, 25. 4., ab 11 Uhr, St.-Petri-Kirche, Königstraße 104, Lübeck