„Gemeinsame, bindende und harte Ziele sind sinnvoll“

EUROPA Die EU will die Recyclingquoten in allen Mitgliedstaaten erhöhen. Auf den Weg zur Kreislaufwirtschaft haben sich schon viele gemacht, sagt Almut Reichel von der Umweltagentur der Europäischen Union. Angekommen ist noch keiner der Staaten

■ ist seit 2007 Projektmanagerin für Abfall sowie für nachhaltigen Konsum und nachhaltige Produktion bei der Europäischen Umweltagentur (EEA) in Kopenhagen.

taz: Frau Reichel, 2014 hat die EU-Kommission zum „Jahr des Abfalls“ erklärt. Was hat sie vor?

Almut Reichel: Die EU will dafür sorgen, dass in den Mitgliedstaaten weniger Abfall auf Deponien landet und mehr recycelt und vermieden wird. Ein Verbot von Müllhalden wie in Deutschland, Dänemark oder Österreich gibt es ja nicht in allen Mitgliedstaaten. Außerdem sollen die Recyclingziele für Verpackungsabfälle überprüft werden.

Gibt es in der EU schon eine Kreislaufwirtschaft, also das Prinzip, dass die eingesetzten Rohstoffe die Ware überleben?

Auf den Weg haben sich viele gemacht, angekommen ist noch keiner. Es gibt riesengroße Unterschiede zwischen den Staaten. Wir haben uns kürzlich den Umgang mit Siedlungsabfällen genauer angeschaut. Die EU schreibt vor, dass bis 2020 mindestens die Hälfte recycelt werden muss. Im Großen und Ganzen entwickelt es sich richtig, der Recyclinganteil steigt.

Überall?

Nein. Österreich und Deutschland recyceln über 60 Prozent ihres Hausmülls, Bulgarien, Kroatien und Lettland deponieren noch immer über 90 Prozent.

Wie steht es denn dort um die Abfallwirtschaft?

Sie ist im Aufbau begriffen. Typischerweise wird zuerst in den Hauptstädten Müll getrennt gesammelt. In einigen ländlichen Gegenden landet der Abfall immer noch irgendwo. Damit diese Länder die Recyclingziele 2020 erreichen, müssen sie Infrastruktur und Sammelsysteme aufbauen und die Bevölkerung motivieren, mitzumachen. Das alles muss gleichzeitig passieren. Das ist komplex!

Wie lange werden diese Länder brauchen, bis sie den „Stand der Technik“ erreichen?

Großbritannien und Irland waren vor zehn Jahren ziemlich hinterher und haben seitdem eine sehr gute Entwicklung genommen. Sie haben jedes Jahr 2,7 bis 2,9 Prozentpunkte mehr Abfall recycelt. Sie können sich also ausrechnen, wie schnell man von quasi null auf 50 Prozent kommt.

Sind gemeinschaftliche Regeln sinnvoll, wenn die Industrien so unterschiedliche Entwicklungsstände haben?

Ja, gemeinsame, bindende und harte Ziele sind sinnvoll, sonst würde sich in vielen Mitgliedstaaten wohl nicht viel tun. Ländern, die später dazu gekommen sind, kann man ja mehr Zeit geben, um die Ziele zu erreichen. Außerdem stellt die Kommission Mittel zur Verfügung, um Infrastruktur zur Abfallwirtschaft aufzubauen, zum Beispiel in den Regionalfonds.

Gibt es Stoffe, die besonders gut gemanagt werden?

Papier und Pappe wird in vielen Regionen getrennt gesammelt, da gehen viele Mitgliedstaaten über die vorgeschriebenen Recyclingquoten für Verpackungsabfall hinaus. Schwieriger wird es bei den Kunststoffen. Die sind sehr vielfältig, es gibt verschiedene Farben, Zusammensetzungen, Zusatzstoffe, das macht das Recycling technisch anspruchsvoll. Bei den elektronischen Geräten haben wir ein anderes Problem. Hier funktioniert die Sammlung nur teilweise, denn viele Geräte landen in der Mülltonne oder werden illegal exportiert.

Was ist derzeit das größere Problem in der EU – der Verlust von Ressourcen oder die Verschmutzung von Landschaft, Boden und Flüssen durch Müll?

Beides. Die Resourcennutzung aus Abfällen muss sich überall noch verbessern. Aber Länder wie Kroatien, Rumänien oder Bulgarien müssen auch noch mehrere gefährliche, ungesicherte Deponien schließen.INTERVIEW: HEIKE HOLDINGHAUSEN