Minister Jung tritt ab

KUNDUS Arbeitsminister von internem Bericht zum Rücktritt gezwungen. Untersuchungsausschuss kommt trotzdem

BERLIN taz/afp/rtr | Nach nur vier Wochen der erste kapitale Rücktritt im neuen Bundeskabinett: Bundesarbeitsminister Franz Josef Jung (CDU) wurde von den Versäumnissen in seiner Amtszeit als Verteidigungsminister eingeholt. Unter wachsendem Druck auch aus den eigenen Reihen trat er am Freitag schließlich zurück – mit einer nur 100 Sekunden dauernden Erklärung in seinem Ministerium, nachdem ein interner Bericht der Bundeswehr bekannt geworden war.

Über die Nachfolge gab es bis Redaktionsschluss in Berlin allerhand Spekulationen, wer aus Hessen ins Bundeskabinett nachfolgen könnte. Selbst Ministerpräsident Roland Koch war im Gespräch. Auch über eine Kabinettsumbildung mit Ursula von der Leyen als neuer Arbeitsministerin wurde berichtet.

Doch nach dem Rücktritt richten sich nun auch Fragen an Kanzlerin Merkel selbst, die Jung stets vor Kritik in Schutz genommen und ihm den Rücken gestärkt hat. Es geht um einen Luftangriff am 4. September auf zwei von Taliban bei Kundus in Afghanistan entführte Tanklaster. Ein Oberst der Bundeswehr befürchtete einen Anschlag mithilfe der Tankwagen und ließ sie deshalb bombardieren, obwohl er keinen direkten Kontakt zum Ort des Geschehens hatte. Dabei starben weit über 100 Menschen, darunter viele Zivilisten eines nahen Dorfes.

„Ich stehe dafür ein, dass wir nichts beschönigen werden“, hatte Merkel wenige Tage nach dem nächtlichen Bombardement im Bundestag gesagt. Genau eine solche Beschönigung und Vertuschung hat es aber, wie jetzt ans Tageslicht kam, vonseiten der Bundeswehr fast drei Monate lang gegeben – entweder aus falschem Korpsgeist heraus, aus Unfähigkeit, Fehler einzugestehen oder aus Angst vor dem politischen Skandal, der jetzt doch über die Regierung hereingebrochen ist.

Die Opposition besteht trotz des raschen Abgangs des Arbeitsministers auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Mit Jungs „folgerichtigem“ Abgang sei noch keine der offenen Fragen im Zusammenhang mit dem Luftangriff in Afghanistan geklärt, sagte SPD- Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier dem Hamburger Abendblatt. Die Bevölkerung habe ein Anrecht auf umfassende Klärung. Deshalb sei ein Untersuchungsausschuss weiter unbedingt notwendig.

Die Grünen-Fraktionschefs Renate Künast und Jürgen Trittin erklärten am Freitag in Berlin: „Wir wollen, dass diese Vorgänge lückenlos aufgeklärt werden.“ Deshalb solle sich der Verteidigungs- als Untersuchungsausschuss konstituieren, um sämtliche Hintergründe des Luftangriffs aufzuklären. Vom amtierenden Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) werde dabei „rückhaltlose Offenheit“ erwartet. Nach Ansicht der Grünen setzt sich der „Fehlstart“ der neuen Bundesregierung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) fort: „Jung geht, Merkels Krise bleibt.“

Der verteidigungspolitische Sprecher der Linken, Paul Schäfer, erklärte: „Der Aufklärungsbedarf bleibt.“ Die Tragweite der Verfehlungen und die bisher errichtete Nebelwand erforderten einen Untersuchungsausschuss.

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