Das Wunder von Stammheim

Nach Bern und Lengede: Die neue Filmsensation – Hauptrolle: Boris Becker!

Die Rolle des „Rote-Armee-Fickers“ ist Becker wie auf den Leib geschrieben, meint er

Sönke Wortmann dürfte schäumen vor Wut. Soeben hat der Regisseur eine großartige Pionierleistung vollbracht. Hat dem deutschen Publikum demonstriert, wie sich der Wirhabendochallevonnichtsgewusst-Mief der Fünfzigerjahre ins unzweifelhaft Heroische des Wirsindwiederwer verklären lässt, ohne dabei gleich in den Verdacht zu geraten, historische Altlasten im Stile osthessischer Begriffsklaubereien endgültig und weit weg verbuddeln zu wollen. Hat uns allen noch mal vor Augen geführt, welch ein Irrweg dies war, mit Auschwitz und Stalingrad und dem ganzen Drumherum. Dass man seiner Nation auch ganz anders Ruhm und Ehre verschaffen kann, in neutralen Disziplinen nämlich und auf neutralem Terrain. Und nun das: Kaum dass er die Herzen zum Hüpfen gebracht und die Tränensäcke hat anschwellen lassen, sieht er sich umringt von einer parasitären Epigonenschar – auf „Das Wunder von Bern“ folgt „Das Wunder von Lengede“ und darauf wiederum ein Machwerk, das – unbestätigten Quellen zufolge – keine geringeren Helden als Boris Becker und Johannes B. Kerner in Angriff genommen haben sollen.

Die beiden seien sich, so wird gemunkelt, im Zuge der einwöchigen Marktschreierei für die Autobiografie des faustischen Tennisstars, die ein öffentlich-rechtlicher Werbesender kürzlich ausstrahlte, hinter den Kulissen „auch intellektuell“ näher gekommen. Beim literarischen Tête-à- tête habe man sich in den Topos der Lengede- … pardon, Legendenbildung vertieft und dabei den Kopf heiß geredet über ein Werk von Kurt Oesterle, das im September dieses Jahres erschienen ist: „Stammheim – Die Geschichte des Vollzugsbeamten Horst Bubeck“.

Jenes Opus nun kolportiert eher en passant ein rührseliges Drama, welches sich 1976/77 im Stammheimer Hochsicherheitstrakt abgespielt haben soll und in den vergangenen Tagen von den unterschiedlichsten Gazetten aufgerührt wurde: Andreas Baader und seine Anwältin – dass es sich dabei um Herta Däubler-Gmelin handelte, ist nur ein weiteres mieses Gerücht, das an dieser Stelle mit großer Empörung zurückgewiesen wird! – sollen es in jenem Winter auf einem in der Sprechzelle befindlichen Resopaltisch dreist miteinander getrieben haben, und zwar in schönster Regelmäßigkeit.

Es kommt aber noch besser: Oberwärter Bubeck will dies nicht nur gewusst, sondern auch dann noch stillschweigend darüber hinweggesehen beziehungsweise -gehört haben, als ihm seine Mannen büschelweise Schamhaare vom Resopaltisch anschleppten. Und das Allerschönste: Das Resultat dieser geheimnisvollen Amour fou sei dann mitten im Deutschen Herbst in die Welt geboren worden, just zwei Wochen bevor sein mutmaßlicher Schöpfer das Zeitliche gesegnet habe.

Bum-Bum-Boris, dem eine große Affinität zu Baaders wohl wichtigstem politischem Credo – „Ficken und Schießen sind ein Ding“ – nachgesagt wird, soll als erster die Idee gehabt und Kerner vorgeschlagen haben, gemeinsam ein Filmprojekt namens „Das Wunder von Stammheim“ zu realisieren. Sich selbst behalte er darin die Rolle des, so Becker angeblich wörtlich, „Rote-Armee-Fickers“ vor, während er es seinem Kompagnon freistelle, den Vollzugsbeamten oder aber auch die Anwältin zu spielen. Er selbst könne mit beiden Varianten gut leben.

Ihm, Becker, gehe es vornehmlich darum, dass das Wunder der Liebe in Zeiten des Hasses, die edle Einfalt und stille Größe eines Repräsentanten des Staates sowie der Zauber neuen Lebens im Kontext des – o Wunder! – ohne Fremdeinwirkung zu Tode gekommenen Erzeugers voll zur Geltung gelange.

Sönke Wortmann indes plant, wie aus intimen Kreisen verlautete, bittere Rache. Er arbeite, wie Freunde ihn zitierten, bereits an zwei eigenen Fortsetzungen der bundesdeutschen Historienmalerei. Die erste werde dem „Wunder von Wimbledon“ auf den Zahn fühlen, die andere sich mit dem „Blauen Wunder von Rostock-Lichtenhagen“ auseinander setzen. Sollte sich dies bewahrheiten, wäre die lästige Deutschhudelei seiner Fans von Gerhard Schröder bis Rudi Völler allerdings durch schlichtes Französisch zu ersetzen: „Chapeau!“

ROLAND BURSCH