„Oscar“ ist der Größte

MEGASCHIFFE Noch wachsen die Schiffe in Länge und Breite, doch das Ende ist in Sichtweite. Wachsende Größe lohnt sich immer weniger. Viele Fahrtgebiete ungeeignet. Aufatmen in den norddeutschen Häfen

Immer größere Schiffe, die in immer weniger Häfen fahren, bedeuten auch ein wachsendes „Klumpenrisiko“.

■ Schwachstellen in der Konstruktion, weniger und daher überfordertes Personal, Hackerangriffe und „blindes“ Vertrauen auf automatisierte elektronische Navigation nennt die Allianz-Versicherung als besondere Risikofaktoren für Schiffe und Häfen.

■ Als Negativbeispiel gilt in der Branche das Containerschiff „Rickmers Dubai“: Es rammte im vergangenen Jahr ein unbemanntes Kranschiff. „Die Kollision zeigt die Gefahren von automatisierter E-Navigation“, warnt die Allianz in einer Studie.

■ Schiffe mit elektronischen Seekarten (ECDIS) an Bord können seit einigen Jahren auf Papier-Seekarten verzichten. Kleinere Schiffe werden jedoch vom automatischen Identifikationssystem nicht erfasst.

■ Die Ausbildung vieler Offiziere für die neuen Herausforderungen gilt in der Branche als mangelhaft. Außerdem besteht weltweit ein Mangel an qualifizierten Fachkräften für die Steuerung von Mega-Schiffen.  HAPE

VON HERMANNUS PFEIFFER

Werden die riesigen Frachter in unseren Häfen immer kolossaler? Mit der Taufe des weltweit größten Containerschiffs „MSC Oscar“ im Januar scheint jedenfalls mit dem Wachstum noch nicht Schluss zu sein. Dabei transportiert der Ozean-Riese auf einer Länge von vier Fußballfeldern bis zu 19.224 Standardcontainer (TEU) von Asien nach Europa. Noch können selbst die dicksten Pötte die Häfen in Hamburg und Bremerhaven anlaufen, die sich einen Ausbau ihrer Fahrrinne wünschen.

In kaum zwei Jahrzehnten hat sich die Ladekapazität von Containerschiffen mehr als verdreifacht – sie wurden um fast 30 Meter breiter und um 100 Meter länger. Branchenprimus „MSC Oscar“ ist nun 395,4 Meter lang, 59 Meter breit und hat einen Tiefgang von 16 Metern. Voll beladen könnte „Oscar“ in Norddeutschland allein den Tiefwasserhafen Wilhelmshaven anlaufen.

Die Reederei MSC wartet auf die Fertigstellung von 18 weiteren Schiffen der „Oscar“-Klasse. Mit deren Auslieferung will MSC zur größten Containerschifffahrtslinie aufsteigen. Vor allem der dänische Weltmarktführer Maersk, die chinesische CSCL und eben die Mediterranean Shipping Company (MSC) in Genf liefern sich ein sportlich zu nennendes Kopf-an-Kopf-Rennen um die schiere Größe. Diego Aponte, Präsident von MSC: „Wir sind stolz, heute Eigentümer des größten Containerschiffes zu sein, das die Weltmeere befährt.“

Das Nadelöhr ist der Kai

Der von wenigen Reedereien vorangetriebene Trend zum Gigantismus dürfte sich noch einige Jahre fortsetzen. Beim norwegisch-deutschen Schiffs-TÜV DNV-GL in Hamburg arbeitet man mit Reedereien und Werften bereits an 20.500-TEU-Schiffen. Doch für DNV-GL-Vorstand Tor Svensen handelt es sich dabei lediglich um „die prinzipiell selbe Dimension“ wie bei „Oscar“. Anfragen zu noch größeren Schiffen kämen zwar aus der Industrie, seien aber „mehr theoretisch denn praktisch“. Noch größere Schiffe erfordern aus physikalischen Gründen ein grundlegend anderes Design – welches erst entwickelt werden müsste.

Ob das technisch Machbare wirklich wird, hängt vor allem von den Häfen ab. Ob, wann und wo man eine neue Klasse von Mega-Mega-Schiffen sieht, sagte Svensen der taz, hänge neben der Nachfrage durch die Logistikindustrie von den Möglichkeiten der Hafeninfrastruktur vor und hinter den Kais ab, die Schiffe „effizient“ abzufertigen.

In Hamburg sieht man sich gerüstet. „Wir sind besser und zuverlässiger als die Konkurrenz“, äußerte sich der HHLA-Vorstandsvorsitzende Klaus-Dieter Peters ungewohnt direkt bei der Vorlage des Jahresabschlusses der teilstaatlichen Hamburger Hafen und Logistik AG. Nicht Quantität und minimale Preisunterschiede entschieden, sondern die Qualität: Pünktlichkeit, Schnelligkeit der Abfertigung und die Hinterlandanbindung etwa mit eigenen Zügen. Hier sehen auch Makler und Reeder Hamburg im europäischen Vergleich vorne.

Drei der vier Containerterminals im größten deutschen Seehafen werden von der HHLA betrieben. Der Hafenkonzern hat den Liegeplatz 5 / 6 im Terminal Burchardkai für die „Oscar“-Klasse mit fünf Mega-Brücken ausgebaut. Sie überspannen 74 Meter. Drei weitere Brücken sind für 2016 bestellt, Flächen und Informationstechnik sind auf den Ansturm weiterer Riesen und das Ab- und Aufladen von bis zu 8.000 Containern innerhalb von 48 Stunden vorbereitet. „Mit den vorhandenen und den bereits bestellten neuen Brücken werden wir auch die nächsten Generationen der Großschiffe effizient abfertigen“, versichert Torsten Engelhardt, Leiter HHLA-Unternehmenskommunikation.

„Gewappnet und gelassen“ sei auch das Management in Wilhelmshaven, versichert eine Sprecherin des Terminalbetreibers Eurogate. Die Brücken sind mit 78 Metern noch „breiter“ als in Hamburg und würden wohl selbst für 30.000-TEU-Schiffe genügen.

Auch in Bremerhaven kann man alle Schiffsgrößen abfertigen. Ob das auch für noch größere Pötte gelte, könne man aber „nicht einfach mit ja oder nein beantworten“, sagt Jan Gelderland, Geschäftsführer des North Sea Terminals. Vor allem die Breite der Schiffe sei „eine Herausforderung“, weil die Containerbrücken immer weiter hinausgreifen müssten. Bremerhaven könnte mit seinen 62-Meter-Brücken bald an Grenzen stoßen.

Gelderland sieht jedoch keinen Trend zu noch mehr Breite. Stattdessen könnten die Schiffe noch einmal um zehn, zwanzig Meter verlängert werden, was für die großen Nordseehäfen kein Problem wäre. Und Rostock wird ohnehin nur von kleinen Containerschiffen angelaufen. Gelderland erwartet, dass es bei der jetzigen Größenklasse von etwa 20.000 Boxen bleibe. Allerdings, fügt er scherzhaft hinzu, habe er früher vermutet, dass bei 4.000 Standardcontainern Schluss sei.

Aber auch Rolf Habben-Jansen der Vorstandschef der Hamburger Reederei Hapag-Lloyd sieht das Ende der Fahnenstange in Sichtweite. Dafür sprechen ausgerechnet die Skaleneffekte, die Größen-Fans gerne anführen. Von 3.000 auf 6.000 TEU sei noch ein riesiger Unterschied bei der Kostenersparnis pro Container gewesen; schon von 14.000 auf 18.000 oder 20.000 auf 30.000 seien aber „die Vorteile nicht so riesig“. Außerdem sei mittlerweile für viele Fahrtgebiete das Maximum an Nachfrage erreicht.

„In zehn Jahren werden wir nicht 75.000 TEU haben“, prognostiziert der Hapag-Lloyd-Chef. Das sei eine „sehr gute Nachricht“. Anderes, wie Service oder Hinterlandanbindung, seien fortan wieder wichtiger. Als Größenbremse dürften außerdem zunehmende Zweifel in der Assekuranz wirken, ob noch größere Ozeanriesen, die mit ihrer Ladung mehr als einer Milliarde Euro Wert sind, überhaupt noch versicherbar seien.

Ohnehin rechnen sich die Mega-Frachter – Stückpreis umgerechnet etwa 150 Millionen Euro – nur für einige Fahrtgebiete innerhalb Asiens und vor allem auf der Marathonstrecke Asien-Europa. Bei Breite und Tiefgang stößt selbst der Suezkanal mit der „Oscar“-Klasse an seine Grenzen. Ein Nadelöhr wird auch in Zukunft der 2016 neu eröffnete Panamakanal darstellen.

Reedereien wie Hapag-Lloyd oder Hamburg-Süd investieren daher in den Bau neuer Schiffe mit „nur“ 9.000 bis 12.000 TEU. „Alle Reedereien investieren in moderne Flotten“, so Habben, alle seien wettbewerbsfähig. Daher gehe es nun um andere Baustellen als um Schiffsgrößen.