„Verschiedene Zugänge zeigen“

SHOAH-OPERN „Ein Grab in den Lüften“ zeigt in Braunschweig drei Opern zum Thema Shoah. Dramaturgin Sarah Grahneis über Erinnerung und die Stärke des Musiktheaters

■ 27, arbeitete für die Bayreuther Festspiele, das Staatstheater Mainz und die Staatsoper Berlin. Sie schrieb „Ilse“ mit, übersetzte Heggies Werke ins Deutsche und ist für die Dramaturgie des dreiteiligen Abends verantwortlich.

INTERVIEW KORNELIUS FRIZ

taz: Frau Grahneis, kann Musiktheater die Schrecken des Holocaust abbilden?

Sarah Grahneis: Ich weiß grundsätzlich nicht, wie man das überhaupt abbilden kann. Selbst bei Dokumentationen, die versuchen, eine Realität darzustellen, gibt es so viel Grauen, das unvorstellbar bleibt und niemals eins zu eins dargestellt werden kann. Musiktheater hat dennoch eine große Stärke: Es ist assoziativ, es kann Brüche gut darstellen und es kann schnell Atmosphären schaffen. So findet das Publikum einen emotionalen Zugang.

Sie zeigen unter dem Titel „Ein Grab in den Lüften“ an einem Abend gleich drei Opern, die sich mit dem Thema Holocaust auseinandersetzen.Es geht dabei nicht um ein kommerzielles Angebot im Sinne von: „Kaufen Sie eins und bekommen Sie drei!“ Die bestehenden Opern sind recht kurz und alle drei Stücke behandeln das Thema Holocaust aus einer anderen Perspektive. Da ging es uns auch darum, nicht nur einen, sondern verschiedene Zugänge zu zeigen.

Wie ist die Idee entstanden?

Wir haben für unsere Reihe „The American Way of Opera“ schon lange Interesse an dem US-amerikanischen Komponisten Jake Heggie, der zwei der drei Stücke geschrieben hat. Außerdem gibt es den naheliegenden Grund, dass sich das Ende des Zweiten Weltkriegs bald zum siebzigsten Mal jährt. In der Oper werden zahlreiche grausame historische Themen behandelt. Abgesehen von beispielsweise „Die Passagierin“ in Frankfurt ist der Holocaust aber ein Thema, das auf der Bühne unterrepräsentiert ist. Wir haben uns bei „Ein Grab in den Lüften“ dann für die klassische Form des Triptychons entschieden. Und in den Gesprächen mit dem Regisseur Julian van Daal waren wir uns schnell einig, dass wir uns unbedingt auch eine Täterposition anschauen wollen.

Ihre hauseigene Uraufführung wird von zwei US-amerikanischen Produktionen eingerahmt, die sich dem Erinnern aus der Perspektive der Opfer nähern. Warum?

Bei den vielen Diskussionen war den drei RegisseurInnen und mir wichtig, wie wir den Abend enden lassen. Das hat viel mit Energien zu tun, die sich durch musikalisch-textliche Strukturen ergeben. „For a Look or a Touch“ ist für Bariton und einen Schauspieler geschrieben. Das letzte Stück, „Another Sunrise“, ist ein durchkomponierter Monolog. Unser eigenes Stück bietet da einen anderen Blick. Es sitzt einerseits unbequem zwischen den beiden anderen, weil es einen Schauspieltext mit Musik kombiniert, aber auch, weil der Blick einer Täterin eingenommen wird. Wir haben auch keine Pausen, keinen Vorhang, kein Black gesetzt. Und das Bühnenbild verändert sich nur durch szenische Vorgänge. Dieses Format war für uns letztlich die beste Variante.

Mit welchem Ziel, mit welcher Haltung sind Sie das Thema angegangen?

Durch die Setzung fragen wir natürlich: Wie kann man sich erinnern? Erinnerungskultur ist ein Thema, das derzeit stark diskutiert wird. Können wir überhaupt so weitermachen mit unseren Gedenkstätten und Mahnmalen? Gerade jetzt, da die kurze Ära der ZeitzeugInnen fast vorbei ist, muss die Gesellschaft Antworten finden. Die historischen Hauptfiguren der drei Werke müssen sich alle zu ihrer Vergangenheit verhalten. Und alle drei finden einen eigenen Weg, mit ihrer Opfer- beziehungsweise Täterrolle umzugehen.

Wie greifen Gegenwart und Vergangenheit in den einzelnen Stücken ineinander?

Gerade das erste Stück „For a Look or a Touch“ ist sehr heutig. Der achtzigjährige Gad könnte heute noch genauso auf der Bühne stehen. Auch Krystyna Zywulska, die Protagonistin von „Another Sunrise“, ist eine Frau, der wir heute begegnen könnten, ohne ihre Geschichte zu kennen. Bei Ilse Koch ist das schwieriger, weil klar ist, dass sie sich umgebracht hat. Im Stück jedoch werden sehr gegenwärtige Fragen gestellt. Ilse hat sich im Nachhinein ein eigenes Bild von sich als Hausfrau und Mutter während des Holocaust geschaffen. Viele ihrer Taten sind bis heute nicht nachweisbar. So wurde sie zu einem gewissen Mythos. Wir haben immer noch ein Interesse daran, Antworten von ihr zu bekommen. Wie kann sie behaupten, dass sie nichts vom Lager wusste, wo es doch Fotos gibt, wie sie mit ihren Kindern in Buchenwald im Zoo war, der nur fünfzig Meter und einen Stacheldrahtzaun vom Krematorium des Konzentrationslagers entfernt war?

Haben Sie während der Proben auch Antworten gefunden?

„Unsere ZuschauerInnen sollen selbst eine Haltung zu den Figuren entwickeln“

Weil alle Figuren auf historischen Persönlichkeiten basieren, haben wir uns sehr stark mit historischen Fakten auseinandergesetzt. „Ilse“ haben Julian van Daal und ich ja sogar selber geschrieben. Dazu haben wir Prozessakten in Buchenwald eingesehen und Interviews aus dieser Zeit eingearbeitet. Dabei entsteht manchmal große Frustration, weil man vieles auch heute nicht eindeutig klären kann. Aber gerade das macht es spannend. Ich persönlich möchte manche Antworten gar nicht wissen. Für die künstlerische Arbeit ist dann entscheidend, wie ich damit umgehe.

Ist es bei der Auseinandersetzung mit NaziverbrecherIn–nen möglich, nicht zu urteilen?

Es ist jedenfalls schwierig. Gerade bei Ilse Koch ist es eine Gratwanderung. Wir können und wollen diese Frau nicht freisprechen. Aber wir wollen auch keine Fakten behaupten, die bisher nicht klar sind, und ihr damit unrecht tun, sofern man einer verstorbenen Naziverbrecherin überhaupt unrecht tun kann. Es ist wichtig, mit der Figur in einer Balance zu bleiben, die im Kontext auf verantwortungsvolle Weise kritisch ist.

Das klingt, als sollten die Stücke zum Erinnern aufrütteln?

Wenn ich im Zuschauerraum sitze und mir die Werke anschaue, fühle ich fast Sympathie für diese Täterfigur Ilse Koch, und wenn ich dann denke, dass das ja eine Naziverbrecherin ist, dann bin ich irritiert. Unsere ZuschauerInnen sollen selbst eine Haltung zu den Figuren entwickeln, sich aber auch nicht von ihnen blenden lassen.

■ „Ein Grab in den Lüften“ („For a Look or a Touch“, „Ilse“, „Another Sunrise“): Sa, 2. Mai, 19.30 Uhr, Staatstheater Braunschweig. Weitere Aufführungen: 7., 16. und 23. Mai