TOURISTEN UND STUDENTEN
: Total geile Denke

„Ne du“, sagt der andere Mann, aber der Student ignoriert den Einwand

Es ist ja nicht so, dass die Berliner den Touristen nichts zu verdanken hätten. Jetzt gibt es überall, selbst in ästhetisch benachteiligten Vierteln wie dem Wrangelkiez, Selbstbedienungscafés, in denen man guten Kaffee bekommt und die extra für den Geschmack des vielgescholtenen Hipsters eingerichtet sind, also mit kargem Style, rätselhaftem Interieur und einer Bedienung, die viel Zeit braucht, um eine Bestellung zu bewältigen, was aber nichts macht, denn der Latte Macchiato ist cremig und so wie er sein soll und besser als in seinem Herkunftsland. Und Zeitungen gibt es dort auch, und manchmal kann ich ganz entspannt lesen, zum Beispiel, wie Bayern vier Elfmeter gegen den BVB verschießt, und obwohl ich das Spiel gesehen habe, lese ich gerne sämtliche Spielberichte, auch wenn sie mir keine neuen Erkenntnisse verschaffen.

Das hat der Hipster toll gemacht, aber warum muss er als Tourist einem immer im Weg stehen? Und zwar zu hundert Prozent, wie der Sachbuchautor Hans Zippert in seinem neuen Buch „Würden Sie an einer Tortengrafik teilnehmen?“ herausgefunden hat. Das frage ich mich, als ich auf dem Weg zu meiner Buchhandlung einem ganzen Schwarm auf Rädern ausweichen muss, auf denen „Berlin on bike“ steht. Und während ich der Radinvasion hinterherblicke, dringt ein Dialog an mein Ohr, der das Problem mit den Touristen in den Hintergrund drängt.

Ein junger, schwarz gekleideter Student sagt: „Individualismus ist Kapitalismus, und Gemeinschaft ist ja eher so ein sozialistisches Ding, also Sozialismus.“ „Ne du“, sagt der andere Mann, aber der Student ignoriert den Einwand und fährt fort: „Aber beides zusammen finde ich irgendwie total geil von der Denke her.“ Gerne hätte ich diesem Dialog weiter gelauscht, aber die beiden verschwinden im U-Bahn-Eingang. Ich glaube, so hat das noch niemand formuliert. KLAUS BITTERMANN