Mini-Demo statt Sturm auf den Reichstag

NEONAZIS Statt 50.000 kommen nur 350 Rechtsextreme ins Berliner Regierungsviertel – weniger als zur Gegenkundgebung

BERLIN taz | 50.000 wollten sie werden, um gemeinsam den Reichstag zu stürmen, sogar eine eigene App sollte es geben. „Wenn der Code 45 auf der App erscheint, stürmen wir los“, hieß es auf rechten Internetseiten. Doch aus der rechtsextremen Großkundgebung, die am Samstag am Berliner Hauptbahnhof stattfinden sollte, wurde nichts: Nur 350 Menschen kamen, vom angekündigten Reichstag-Sturm war nicht mehr die Rede.

Ein Stelldichein der rechten Szene war die Veranstaltung dennoch: Der Berliner NPD-Vorsitzende Sebastian Schmidtke war ebenso unter den Teilnehmern wie der „Pro Deutschland“-Bundesvorsitzende Manfred Rouhs und der rechte Publizist Jürgen Elsässer, der zu dieser Kundgebung „gegen die Islamisierung und Amerikanisierung Europas“ aufgerufen hatte. Auch Angehörige der Reichsbürger-Bewegung reisten an.

Dieser Bogen von klassischen rechtsextremen Inhalten bis Verschwörungstheorien prägte auch die Redebeiträge. Auf der anderen Seite der Spree unweit des Bundeskanzleramts – die Polizei hatte die Straßen rund um die Nazi-Kundgebung abgesperrt – versammelten sich etwa 500 Teilnehmer einer Gegenkundgebung, die das linke „Bündnis 9. Mai“ organisiert hatte.

Beide Lager waren durch die Polizeiabsperrungen zunächst deutlich voneinander getrennt. Kurz vor 16 Uhr aber tauchten etwa 40 Gegendemonstranten rund um die rechte Veranstaltung auf, hielten Transparente hoch und störten mit Sprechchören. Etwa die Hälfte der Teilnehmer der Nazi-Kundgebung stürmte daraufhin auf die Gegendemonstranten zu und versuchte, sie anzugreifen; eine aus der Nazi-Kundgebung geworfene Flasche verfehlte nur knapp eine Passantin. Die Polizei hatte zunächst Mühe, die Nazis zurückzudrängen. „In dieser Situation hat sich klar gezeigt, wes Geistes Kind diese Leute sind – da zeigt jemand eine Antifa-Fahne, und sie drehen völlig durch“, sagte Bianca Klose, Leiterin der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin.

Kurz vor Ende der Gegenkundgebung kam es zu einem Zwischenfall mit der Polizei. Nach der Festnahme eines Gegendemonstranten, der versucht hatte, einem Reichsbürger die Fahne abzunehmen, soll ein Polizist für einen Moment die Kontrolle verloren und sein Polizeifahrzeug in die Menge der Gegendemonstranten gelenkt haben. Das Bündnis 9. Mai erwägt, Anzeige zu erstatten.

MALENE GÜRGEN