DIE PÄDAGOGINNEN HIER SIND NETTE LEUTE, UND DIE KINDER TUN DINGE, DIE SIE OHNE KINDERGARTEN VIELLEICHT NICHT GETAN HÄTTEN
: In der Eingewöhnungsphase

Foto: privat

REBECCA CLARE SANGER

Nach vier Tagen Eingewöhnungszeit weiß ich annähernd, wer von den Kindergartenmitarbeitern und Kindergartenmitarbeiterinnen die eigenen Kinder im Kindergarten untergebracht hat. Bei manchen ist es klar wie Kloßbrühe. War Kaspars Mutter doch bei mir in der Müttergruppe; ihren Mann, der gerade mit fünf Mädchen Erdbeerpflanzen setzt, erkenne ich sofort von Facebookbildern, die Sandra veröffentlicht hat.

Bei Lauge hab ich es auch bald raus. „Ich will meine Mutter!“ schreit er, und schleicht sich mit durch das kindersichere Tor, wenn Kindergärtnerinnen es öffnen. Lauges Mutter nimmt den Ausbrecher kurz auf den Arm. Ein Weilchen später drückt sie ihn dann ihrer Kollegin an die Brust. „Guck doch mal Lauge, die schönen Erdbeerpflanzen.“ – „Ich will meine Mutter!“ Lauges Mutter sieht hilflos aus, ihr ist die Situation unangenehm. Sie darf sich natürlich jetzt nicht unprofessionell verhalten, aber: Was ist denn hier nun überhaupt unprofessionell?

Lauge büxt fast jeden Tag während der Eingewöhnungszeit aus seiner Kindergartengruppe aus, und ich umarme meine Kinder zum Abschied mit zunehmend schlechtem Gewissen. „Ich will meine Mutter“, schreit Lauge, und rennt während der Spielplatzzeit ins Haus hinein, wo sich seine Mutter einen Kaffee einschenkt.

„Sieh mal Lauge, das schöne multisensorische Funktionsbrett“, sagt eine Kindergärtnerin, die ihn gerade eben noch am Jackenkragen erwischt. An einem Stück Holz sind Knöpfe, Knaufe, Hakenverschlüsse, Filzstücke und ein bisschen Moos befestigt. Lauge versucht sich an den Hakenverschlüssen. Wer weiß, zu was ihm das in den nächsten Wochen und Monaten noch gereichen kann?

Dass mir die Zuneigung der Kindergärtnerinnen zu den Kindern ein wenig künstlich vorkommt, sei mir verziehen: Nicht sie sind mir suspekt, eher schon ihre Teammeetings, in denen sie den Umgang von Familienmitgliedern in der Institution besprechen. Im Land von Jesper Juul haben Eltern auch nur ein Jahr Elternzeit. Den Eltern, die Kindergärtner und Kindergärtnerinnen sind, scheint das Unterbringen in der eigenen Institution ein guter Kompromiss.

Die Pädagogen hier sind nette Leute. Meine Kinder singen und klatschen und waschen sich die Hände und backen Sandkuchen – vielleicht viel besser und viel schneller, als sie es ohne Kindergarten je getan hätten. Sie kriegen nie Schimpfe, sondern immer Alternativen, hygienisch und hurtig werden sie gewickelt.

Dass Kindergärtnerin Marianne aber auch die Großmutter von Valdemar und damit die Mutter der Kindergärtnerin Louise ist, das hatte ich nicht so schnell spitzgekriegt. Louise ist witzig.

Louise ist sehr gut im Seifenblasen machen. Fast jeden Tag steht sie bei den größeren Kindergartenkindern und macht Riesenseifenblasen. Die Tinktur kriegt sie von einem Vater, erzählt sie mir, als aus Versehen eine Seifenblase in meinem Haar zerplatzt. Das sei keineswegs einfach nur Spüli. „Geh’ auf die Hardcore Webseiten“, habe der Vater zu ihr gesagt, erzählt sie mir, „die richtig versauten, und bestell’ Gleitgel. Du kriegst das schön dezent ins Haus geliefert, und dann, dann macht das die Mische so richtig fett!“ – „Lieber nicht von einem Kindergartencomputer“, habe sie geantwortet und so liefert der Vater dem Kindergarten die benötigte Menge fertiggemischte Seifenblasenmischung.

Wie der Vater da bloß drauf gekommen ist, frage ich sie.

Wir stehen in der Kindergartenküche und schenken uns Kaffee ein. Meine Eingewöhnungszeit nähert sich ihrem Ende.

Rebecca Clare Sanger pendelt mit Mann und Kindern zwischen Hamburg und der dänischen Insel Møn; was sie dabei erlebt, steht alle zwei Wochen an dieser Stelle. Einen Sammelband mit ihren „Hamburger Szenen“ aus der taz.hamburg hat der Verlag Michason & May unter dem Titel „Hamburg Walking“ veröffentlicht.