Flucht in die Trollwelt

OPER Dietrich Hilsdorf feiert in Braunschweig eine gelungene Premiere. Die Entstehung von Werner Egks „Peer Gynt“, nach Hamlet die meist gezeigte Oper im Dritten Reich, wird allerdings nicht miterzählt

Leider erschöpft sich die Innovationskraft in albernen Penetrationsszenen

Das Marketing der Staatsoper Braunschweig hat nicht zu viel versprochen, als es eine „dramatische Inszenierung“ des umstrittenen „Peer Gynt“ ankündigte. Fragwürdig ist jedoch, dass die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte des Werkes in der Premiere am 22. Mai überhaupt nicht verhandelt wurde. Im Dritten Reich hat Werner Egk Karriere als Komponist gemacht.

Es ist kein Zufall, dass Egk in seiner Musik nicht den träumerischen Lügen-Peer Ibsens zeigt, sondern einen ideologisch in seine Zeit passenden, willensstarken Kämpfer, der um jeden Preis das Triebhafte besiegen will.

Auch deshalb war Werner Egks „Peer Gynt“ nach Hamlet die meist gezeigte Oper während des Dritten Reiches. Goebbels und Hitler waren begeistert von der Arbeit ihres bayerischen Haus und Hof-Komponisten, dessen Ibsen-Adaption 1938 in Berlin uraufgeführt wurde. Nach dem Krieg wehrt sich Egk vehement gegen die Stigmatisierung als Nazi-Künstler und legt eine NS-kritische Interpretation seines „Peer Gynts“ nahe. Um die mystisch-bedrohliche Trollwelt darzustellen, nutzt er Elemente des Tangos und Charleston, was jedoch weder seinen Widerstand noch seine Nähe zum Regime beweist. Und nach der Pause, als Peer zu Reichtum gekommen ist und sich im Hafen einer fernen Republik ein lasterhaftes Leben leisten kann, da nimmt die Inszenierung Fahrt auf. Als Flamenco tanzender Hahn verführt er Frauen, er wird verführt von der rothaarigen Tochter des Trollkönigs. Bis er seiner Solveig letztlich untreu wird und sich der Tänzerin hingibt – wohlgemerkt zu dem anfangs etablierten Motiv der Solveig, das im Fortissimo den Liebesrausch begleitet.

Den Gipfel des Burlesken erreicht Dietrich Hilsdorf mit dem Auftritt des Präsidenten, der sich an der Ausreise des zahlungskräftigen Gynt bereichern will. Er wird von Selçuk Hakan Tirasoglu, einem starken Bassisten gesungen, der abgeschmackt mit Merkelkostüm und Hitlerbärtchen auftritt. Ein gefälliger Lacher, der jedoch in Anbetracht der Entstehung dieser Musik eher unangebracht ist. Eine Kritik an Werner Egks Werk und Karriere vor 1945 kann man in diesem Kurzauftritt lange suchen.

Erstmals inszeniert Hilsdorf in Braunschweig, und mit diesem umstrittenen Stück bearbeitet der hochgelobte Opernregisseur einen angemessen umfassenden und spannenden Stoff. Leider erschöpft sich seine Innovationskraft bei dieser Arbeit in albernen Penetrationsszenen mit infantil als Gummidildos übersetzten Trollschwänzen. Abgesehen von dieser misslungenen Provokation kommen die knapp zweieinhalb Stunden als recht konventionelle Oper daher. Kostüm und Bühnenbild überzeugen mit Detailreichtum, die trashigen Videoprojektionen von Peers sinkendem Schiff und das finale Feuer scheinen jedoch nur die überraschend unspektakuläre Musik aufmöbeln zu wollen. Das Orchester unter der Leitung von Christopher Hein hingegen überzeugt mit einer soliden Leistung. Die Frage, warum nicht wieder einmal Edvard Griegs viel bekannterer „Peer Gynt“ aufgeführt wird, bleibt offen. Abgesehen von einer Verfilmung des Ibsen-Gedichts von 2006 werden Griegs romantische Peer-Gynt-Suiten kaum noch verwendet – dabei ist deren Entstehungsgeschichte weitaus weniger kritisch.  KORNELIUS FRIZ

Weitere Aufführungen: Sa, 30. Mai, 7., 9. + 13. Juni