Schwere Regierungskrise nach Abhörskandal

POLEN Mehrere Minister und der Parlamentspräsident treten zurück

Geheime Details aus den Ermittlungen zu dem Skandal standen Mittwoch in Facebook

WARSCHAU ap | Im Zusammenhang mit einem neu aufgebrochenen Skandal um heimliche Gesprächsaufzeichnungen sind am Mittwoch vier polnische Regierungsminister und Parlamentspräsident Radek Sikorski zurückgetreten. Die Minister für Gesundheit, Sport, Finanzen und Sicherheit sowie Sikorski erklärten, ihr Rücktritt erfolge zum Wohle der regierenden Partei Bürgerplattform. Die überraschende Entwicklung kommt nur vier Monate vor den Parlamentswahlen in Polen und schadet der Regierungspartei.

Die vier Minister und Sikorski, ein ehemaliger Außenminister, waren in den Jahren 2013 und 2014 bei privaten Treffen in Warschauer Restaurants heimlich aufgenommen worden. Auf den Bändern, die Medien zugespielt wurden, war zu hören, wie sich die Politiker mit Lobbyisten und Geschäftsleuten auf Deals verständigten, während sie Hummer verspeisten. Das hatte viele Polen empört. Der damalige Innenminister Bartlomiej Sienkiewicz hatte dafür seinen Hut nehmen müssen.

Neben Sikorski und den vier Regierungsministern Bartosz Arlukowicz, Andrzej Biernat, Wlodzimierz Karpinski und Jacek Cichocki, traten auch vier Regierungsbeamte zurück. Den Ausschlag für die Rücktrittswelle vom Mittwoch gaben geheime Details aus den noch laufenden Ermittlungen zu dem Skandal, die jemand auf Facebook gestellt hatte. In Verbindung damit wurde Anklage gegen einen Mann erhoben.

Ministerpräsidentin Ewa Kopacz nahm die Rücktritte an, wie ihre Sprecherin sagte. Die Regierungschefin wird wahrscheinlich am Montag sagen, wer die zurückgetretenen Minister ersetzen soll. Kopacz deutete an, dass sie die Entlassung von Generalstaatsanwalt Andrzej Seremet anstrebt, der die Ermittlungen zu dem Abhörskandal leitet. Sie kämen zu langsam voran, sagte sie. Zudem habe Seremet nicht hinreichend erklären können, warum die vertraulichen Details auf Facebook landeten. Seremet kann nur vom Präsidenten entlassen werden.

Die jüngsten Entwicklungen bedeuten eine schwere Krise für die seit fast acht Jahren regierende Bürgerplattform. Die wirtschaftsfreundliche Partei steht seit ihrer überraschenden Niederlage bei der Präsidentschaftswahl im Mai unter Druck. Dabei war Bronislaw Komorowski, ein ehemaliges Mitglied der Partei, seinem nationalkonservativen Herausforderer Andrzej Duda unterlegen. Die Wahlschlappe hatte wachsende Unzufriedenheit mit der Politik der Bürgerplattform offengelegt.

Viele politische Analysten glauben, dass der Fall um die aufgezeichneten Gespräche die Chancen der Bürgerplattform bei den Wahlen untergräbt. Einige sagen, die Rücktritte seien zu spät erfolgt. Zudem seien es für einen Wahlerfolg zu wenige.