ARBEITSALLTAG MIT FLÜCHTLINGEN IN BERLIN-SPANDAU
: Musik im Raum Nummer 38

ELISE GRATON

Die Notunterkunft für Flüchtlinge in der alten Kaserne am Askanierring im Berliner Bezirk Spandau wirkt wie ein düsterer Koloss aus gelbem Backstein. Draußen spielen Kinder, als direkt über ihnen ohrenbetäubender Krach drüberzieht: ein Flugzeug, so tief im Landeanflug, dass man es mit den Fingerspitzen berühren könnte.

Bald, sehr bald, vielleicht, wird der Tegeler Flughafen schließen. Und dann wäre es hier vorbei mit der Lärmbelästigung. Beim Pförtner frage ich nach dem Konzert von Bernadette La Hengst. „38!“, antwortet er kurz und winkt Richtung Gang zum linken Flügel des Gebäudes. Vor dem Raum 38 klopft eine kleine Gruppe Kinder mit verschmitztem Gesichtsausdruck an die geschlossene Tür. Schnell rennen sie weg. Eine Frau streckt den Kopf durch den Türspalt und schimpft ihnen auf Arabisch hinterher. Es wird noch geprobt! Durch ein Fenster zum Hof sehe ich Jan Nadolny, den Heimleiter, wie er sich mit einer anderen Besucherin unterhält.

Nadolny hatte ich letzte Woche bei „Interventionen“ kennengelernt – einer Veranstaltung zum Thema Flüchtlinge, Kunst und Bildung, die im Berliner Podewil stattfand. La Hengsts Konzert war schon dort Teil des Programms aus Tagung, Theater- und Musikaufführungen. Ich gehe wieder am Pförtner vorbei und setze mich zu Nadolny auf einen Plastikstuhl. Wir schauen auf den kleinen Gemüsegarten, der kürzlich gemeinsam mit den BewohnerInnen im Innenhof angelegt wurde.

Zermürbendes Warten

Ein weiteres Kulturprojekt, sozusagen, um das zermürbende Warten und Nichts-tun-Können der AsylbewerberInnen humaner zu gestalten. „Hier war alles völlig überwuchert“, erzählt Nadolny. Als das Gebäude zur Verfügung gestellt wurde, gab es keine Zeit, um zu renovieren, im Nu waren alle Räume voll belegt mit neuen Flüchtlingen. „Wir reagieren nur, anstatt zu konzipieren.“ Im Refektorium fängt gleich das Konzert an. Tamer, Amal, Souriana, Lilaf, Mayada, Murhaf, Arafat und Kamal aus Syrien sowie Drazen und Bernadette aus Berlin stehen hinter ihren Mikrofonen und tragen eingängige Songs auf Deutsch und Arabisch vor, die sie seit Mai zusammen komponiert haben. „Einen Teil der Instrumente hat uns ein Freund geliehen“, flüstert mir Nadolny zu. 

Das Publikum zählt circa 30 Zuschauer, meist HeimbewohnerInnen. Einige Kinder kauern traurig auf ihrem Stuhl, andere tanzen vergnügt vor der Bühne. Familienangehörige filmen mit ihrem Handy. Nach dem Konzert unterhalte ich mich mit La Hengst über die Tagung im Podewil (siehe taz vom 15. Juni). Dort wurde unter den TeilnehmerInnen mit und ohne Fluchtgeschichte über Sinn und Zweck solcher Kunstprojekte sinniert – und vor der Gefahr von Bevormundung und Instrumentalisierung von Flüchtlingen gewarnt. „Die Gefahr besteht immer“, entgegnet die Berliner Musikerin. „Ich arbeite schon lange mit Laien oder marginalisierten Gruppen und versuche immer, ihnen etwas mit auf den Weg zu geben“.

Bei Flüchtlingen sei das natürlich schwierig, denn ihre Zukunft sei unsicher, und keiner weiß, wohin dieser Weg führt. Eine Serbin, die anfangs in der Gruppe mitgespielt hatte, wurde in der Zwischenzeit abgeschoben. „Ich verstehe diese Art von Projekten als beidseitige Integration, gegenseitige Befruchtung und Inspiration. Das kann man auch auf der Bühne sehen“, so La Hengst. „Für mich ist das Avantgarde, schon allein der Versuch, durch Musik zu kommunizieren, da die meisten ja noch kein Deutsch können.“

Auf der Wand hinter ihr entdecke ich ein kleines Plakat. In über sieben Sprachen verkündet es den Termin des nächsten Deutschkurses. Auf einer Tafel daneben hat jemand mit Kreide das Berliner S- und U-Bahn-System nachgezeichnet: drei ineinander verschachtelte Kreise, um die verschiedenen Tarifzonen zu erklären. „Wir versuchen die Bewohner zu ermutigen, ihre neue Umgebung zu erkunden“, sagt Nadolny. „Denn ab dem Moment, wo die Menschen hier angekommen sind, sind sie im Grunde keine Flüchtlinge mehr, sondern Berliner“.