Dreizehn Minuten

VORTRAG Historiker Dan Diner im Jüdischen Museum zur ersten Begegnung zwischen Vertretern des jüdischen Volkes und Deutschlands nach der Schoah

Ein „Wunder“ sei es, dass nach der Schoah eine freundschaftliche Beziehung zwischen Israel und Deutschland hatte zustanden kommen können, sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier Anfang dieses Monats. Zum 50. Mal jährten sich da die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Staaten. Ihren Anfang nahmen sie am 10. September 1952 im Luxemburger Abkommen – erstmals saßen sich Vertreter des jüdischen Volkes und der Bundesrepublik Deutschland gegenüber. „Die beiden Parteien konnten nicht anders zusammensitzen als in kaum zu überbrückender Distanz“ – so umschrieb Matthias Morgenthaler am Montag im Jüdischen Museum die dramatische Situation im Cercle Municipal der Stadt Luxemburg. Journalist Morgenthaler sprach am Montag im Jüdischen Museum mit dem Historiker Dan Diner vor etwa 50 Zuhörern über dessen Buch „Rituelle Distanz. Israels deutsche Frage“.

Diner zeichnet darin anhand kleinster Beobachtungen nach, wie fragil und zwiespältig die deutsch-israelische Annäherung gewesen ist. Ihm geht es dabei um die demonstrative Distanz, mit der sich beide Seiten begegneten. „Für Israel war das ein dramatischer Vorgang“, sagt Diner über die damalige Situation. Die Rede, die Außenminister Mosche Scharet vorbereitet hatte, enthielt eine Formel, mit der die Deutschen nicht einverstanden sein konnten: „Keine Sühne denkbar“. Diner betont, wie dieser Kernsatz vor allem für den gläubigen Katholiken Konrad Adenauer unerträglich sein musste. Die Deutschen also lehnten das Manuskript ab. Es wurden keine Reden gehalten. Und keine Hände geschüttelt. Selbst das Rauchen war untersagt – zu einfach hätte eine so simple Geste wie das Feuergeben die choreografische Distanz durchbrechen können.

Kontaminierte Sprache

Diese aufrechtzuerhalten war schwierig. Beide Gruppen schließlich waren Deutsche im Sinne ihres Habitus, ihrer Sprache, Kultur. „Die deutsche Sprache, die auch eine jüdische war, ist kontaminiert gewesen“, sagt Dan Diner. Deutsch zu sprechen, kam darum nicht infrage. Die Zeremonie beschränkte sich auf die Vertragsunterzeichnung – keine Berührung, keine Versöhnung. Dabei habe sich die deutsche Seite durchaus versöhnen wollen, so Diner. Aber die Grenze verlief hier: Materielle Wiedergutmachung durch finanzielle Unterstützung der Einwanderer in Israel – ja. Eine moralische aber, eine für den Massenmord? Undenkbar. In Israel ging eine dramatische Debatte in der Knesset den Gesprächen voraus. Von der Straße flogen Steine.

Diner benutzt für diese verdichtete Stimmung der Abgrenzung von allem Deutschen das biblische Wort Bann (Cherem). Der Historiker zeichnet die Transformation religiöser Bilder in den politischen Kontext nach, zum Beispiel mit der Materialisierung des Banns in Form der in israelische Pässe eingestempelten Ungültigkeitserklärung für die Einreise nach Deutschland. Auch das paradox, denn viele deutsche Juden wollten nach Deutschland reisen, um ihre Entschädigungsangelegenheiten zu regeln. Israel aber bestand auf kollektive Entschädigung. Allerdings war das zurückgelassene Eigentum der Ermordeten ein materielles und ein moralisches Problem – denn erbenlos fällt es an den deutschen Staat. „Moralisch ist es unerträglich, dass das Erbe an den Mörder fällt“, fasst Diner die vertrackte Situation zusammen. Es musste also ein kollektiver Eigentümer gefunden werden: das jüdische Volk, das so als Rechtssubjekt erschaffen wurde. Deutschland war so in gewisser Weise Teil des israelischen Selbstverständnisses geworden.

Es ist ganz erstaunlich, wie Dan Diner es schafft, durch seine kleine Kulturgeschichte der Zeichen, der Gefühle und Gesten, wie sie in nur 13 Minuten im Luxemburger Rathaus ausgetauscht worden waren, sich einer solch großen und unbegreiflichen Geschichte, wie jener der israelisch-deutschen Beziehung nach der Schoah annähert. Das eng verwobene Netz macht diese Geschichte nicht weniger dramatisch, aber eben doch verständlicher. SONJA VOGEL