Tote kommen, um zu bleiben

Mit Harry Rowohlt habe ich mich zweimal unterhalten dürfen, vielleicht auch dreimal; wobei „unterhalten“ nicht der richtige Ausdruck ist: Harry hat erzählt, und ich habe zugehört. Bei einer unserer Begegnungen habe ich allerdings – ich schrieb gerade ein Buch und hatte eine hartnäckige Phase – Harry nach dem Schriftsteller Jörg Fauser gefragt. Und Harry hat geantwortet, dass er schon zehnmal mehr über Jörg Fauser als mit Jörg Fauser geredet habe. Und dann hat er erzählt.

Der früh verstorbene und mit Rowohlt befreundete Fauser war so was wie die deutsche Antwort auf Jack Kerouac und Charles Bukowski – die Deutschen verlangen eben sehr viel von ihren Künstlern, auch Fassbinder musste ja für zehn arbeiten. Deswegen starb er noch jünger als Fauser. Und Wim Wenders wird im August dieses Jahres gemütlich 70, das Alter, in dem Leute wie Harry Rowohlt abtreten, weil sie alles gegeben haben.

Harry Rowohlt hat viele schöne Nachrufe bekommen; und ich möchte nur noch ergänzen, dass es wenig Bezaubenderes im Leben gibt, als auf – sagen wir nordhessischen – Landstraßen dahinzugondeln und sich „Der Wind in den Weiden“ vorlesen zu lassen. Ich spreche hier auch für meine Kinder.

Als ich im vergangenen Jahr einen Artikel zum 70. Geburtstag von Jörg Fauser veröffentlichte, sagte die redigierende Kollegin, da seien ja nur tote, alte Männer drin. Ich war ein wenig gekränkt, aber sie hatte natürlich recht. Peter O. Chotjewitz, Carl Weissner, Rudolf Lorenzen – alles Menschen und Künstler, von denen ich gelernt und mit denen ich Bier und Kaffee getrunken hatte – und die dann einfach plötzlich weg waren, nicht mehr ansprechbar. Wenn der Tod zu einem ins Haus kommt, ist er immer eine Macht, die je nach (hier passt es halt mal) Betroffenheit einen wie ein Speer treffen und einem den Atem nehmen kann.

Das war es wohl, was das Zentrum für Politische Schönheit bewogen hat, die „Unbekannte Tote Nummer zwei“ auf dem Friedhof Berlin-Gatow zu beerdigen. „Die Toten kommen“ heißt die Aktion; und sie soll dafür sorgen, dass es demnächst heißen kann: Die Lebenden kommen. Wenn Schlingensief noch leben würde, dann würden wohl eher die Zombies über uns kommen, aufgestiegen aus kaputten Leichenkühlhäusern mit blutbesudelten Böden, sich erhebend aus anonymen Massengräbern am Südrand des Kontinents, der sich rühmt, die Menschenrechte erfunden zu haben.

Über Dahingeschiedene, heißt es seit der Antike, soll man nur Gutes sagen. Gibt es da aber nicht auch was Neueres? Ja. Etwa in den sagenhaften „Sopranos Episode Scripts“, die ich diese Woche im unendlichen Internet entdeckte und in denen man das Epos über die Mafiasippe aus New Jersey nachlesen kann. Zum Beispiel das hier, einen Witz, bei einer Beerdigung erzählt:

„ ‚The rabbi says, alas, i did not know this man, I’m new here. You all knew him, you say something good about him.‘ Dead silence. Goes on for about a minute, two minutes. Finally, a voice from the back: ‚His brother was worse.‘ “

Von wem hier die Rede ist: von Siggi „Griechentöter“ Gabriel und Thomas „Pinocchio“ Oppermann? Wer von den beiden schlimmer ist, will man nicht entscheiden. Mit diesem unterirdischen Personal jedenfalls kann es mit der SPD nur weiter bergab gehen; gut daran ist, dass die Debatte über Rot-Rot-Grün 2017 wieder in die Fachblättchen für Politspekulationen zurückwandern kann. Die Frage für die Bundestagswahl 2017 lautet: Wird sie tatsächlich erst 2017 stattfinden? Und wer will Merkels absolute Mehrheit verhindern?

Ein Wort, das ich diese Woche gelernt habe, lautet „Schäublisti“. Das sind, italienisch gesprochen und grob gesagt, Leute aus Deutschland, die wollen, das Griechenland seine Schulden zahlt. Vor genau 90 Jahren lagen die Dinge noch anders. Da sagte der deutsche Außenminister Gustav Stresemann: „Man muss nur genug Schulden haben, man muss so viel Schulden haben, dass der eigene Gläubiger seine eigene Existenz mitgefährdet sieht, wenn der Schuldner zusammenbricht.“ 1932 hatte Deutschland dieses Nervenspiel zu Ende gespielt, die Reparations-, also die Schuldenfrage hatte sich erledigt. Gustav Stresemann war da schon drei Jahre tot, und die deutschen Eliten hatten sich entschieden, auf Hitler zu setzen. Stresemann hatte seine politische Karriere als Imperialist begonnen; ob er später, in Diensten der Weimarer Republik, nur deswegen auf Völkerverständigung setzte, um Deutschland so seinen Platz an der Sonne zu sichern, oder ob er sich tatsächlich eines Besseren hatte belehren lassen, ist eine offene Frage. Sicher ist: Scheitert Tsipras, scheitert Deutschland als Hegemon Europas. Und wer wäre schuld: Merkel und die Schäublisti. Insofern: Go Grexit!

AMBROS WAIBEL