„China wird ein ganz scharfer Konkurrent“

Heinrich von Pierer, Vorstandsvorsitzender der Siemens AG, über den großen Erfolg seines Unternehmens in China, die Konkurrenz für den europäischen Markt, den politischen Wandel im Reich der Mitte – und seinen Wunsch nach mehr Ingenieuren im deutschen Parlament

taz: Für wen ist der Transrapid heute ein stärkeres Fortschrittssymbol, für die Chinesen oder für die Deutschen?

Heinrich von Pierer: Ganz klar für die Deutschen. Er ist ein Symbol deutscher Spitzentechnologie. Dabei ist anzuerkennen, dass die Chinesen am Bauwerk, vor allem den Stützpfeilern, wirklich Großartiges geleistet haben. Aber trotzdem sind der Transrapid und seine ganze High-Tech deutsch. Das sind ThyssenKrupp und Siemens.

Wie viele Jahre werden vergehen, bis die Chinesen den Transrapid selbst bauen können?

Einige Jahre wird es schon noch dauern. Aber wenn einmal eine Erfindung bekannt ist und bekannt ist, wie etwas funktioniert, dann ist es normal, dass andere das nachempfinden. Den Chinesen mag es sogar gelingen, das Transrapid-System an manchen Stellen zu verbessern. Das wäre ebenfalls normal. Vergleichbares hat es immer wieder gegeben. Deshalb ist wichtig, dass wir am Standort Deutschland unsere Innovationskraft behalten und immer ein Stück voraus sind. Gelingt uns das nicht mehr, werden wir zu einem armen Land.

Sind chinesische Unternehmen heute schon Konkurrenten für Siemens auf den High-Tech-Märkten?

Auf einem Teil der Märkte beginnt das gerade, zum Beispiel auf dem Gebiet der Telekommunikation. Andere Märkte werden dieser Entwicklung folgen. Tatsache ist, dass China aufgrund des Fleißes seiner Bevölkerung, der technologischen Fähigkeit und der besonderen kommerziellen Begabung, die die Chinesen auszeichnet, in Zukunft ein ganz scharfer Konkurrent sein wird und es heute in manchen Bereichen schon ist.

Sie sind ein Vertreter der alten Formel Wandel durch Handel. Was für einen Wandel hat Ihr Handel mit China bislang bewirkt?

Wir erleben heute in China, dass sich im Zuge eines steigenden Wohlstands größere wirtschaftliche Freiheiten einstellen, und dass die wirtschaftlichen Freiheiten – wie im Abendland ja schon mal praktiziert – auch zu größeren politischen Freiheiten führen. Das vollzieht sich nicht auf einem Schlag und manchem geht es nicht schnell genug. Aber ich halte deshalb den geduldigen Dialog der Bundesregierung, den diese auch in Fragen der Rechtsentwicklung mit China führt, für absolut wichtig.

Dennoch gehen die Menschenrechtsverletzungen in China weiter. Wo genau sehen Sie heute größere politische Freiheiten als früher?

Meine eigenen Erfahrungen in China gehen nicht so tief, als dass ich mir ein abschließendes Urteil erlauben möchte. Aber wenn ich mir vor Augen führe, was ich in den 15 Jahren, in denen ich China bereise, erlebt habe, dann wirkt das Land heute wie verwandelt auf mich. Die Kommunikationsbereitschaft ist ungeheuer gewachsen.

Premierminister Zhu Rongji, mit dem Sie schon oft verhandelt haben, ist ausgebildeter Ingenieur – so wie derzeit auch alle neuen Mitglieder im ständigen Ausschuss des Politbüros, dem mächtigsten Gremium des Landes. Qualifiziert das aus Ihrer Sicht eine Regierung?

Über die Qualifikation dieser chinesischen Topschicht will ich nicht urteilen. Aber die Tatsache, dass dort Ingenieurssachverstand in hohem Maße vertreten ist, halte ich im Prinzip für gut. Ich wünschte mir bei uns zu Hause auch, dass wieder mehr wirtschaftlicher und technischer Sachverstand im Parlament zu finden wäre.

Im März steht in China ein Regierungswechsel bevor. Wird das altersbedingte Ausscheiden Zhu Rongjis das internationale Vertrauen in das Land mindern?

Eine gewisse Kontinuität bleibt. Keineswegs die ganze Führungsmannschaft wird ausgewechselt. Übrigens haben die Chinesen immer auf die Kontinuität gesetzt. Die Rolle Präsident Jiang Zemins, der zwar zurücktritt, aber doch seinen Einfluss bewahrt, spiegelt das wider.

Kann es Kontinuität auch beim Wirtschaftswachstum geben? Oder muss nach zwei Jahrzehnten Rekordtempo nicht irgendwann ein Einbruch kommen?

Ich bin überzeugt, dass China in den nächsten zehn Jahren seinen Wachstumskurs halten kann.

INTERVIEW: GEORG BLUME