Asylpolitik der EU: Brüssel definiert Krise neu

Die EU-Innenminister einigen sich darauf, die Rechte von Flüchtlingen einzuschränken. Aber Familien sollen nicht in Auffanglager.

Eine EU-Flagge mit Rissen weht. Im Hintergrund sind dunkle, graue Wolken.

Die Krisenverordnung im geplanten Asylpaket gestaltet sich zur Zerreißprobe in Brüssel Foto: Christof Mattes/imago

BRÜSSEL/BERLIN taz | „Höhere Gewalt“, „Massenankünfte“ und „Instrumentalisierung“ – das sind die Fälle, in denen die EU künftig die Rechte Geflüchteter einschränken will. Am Donnerstag berieten die Innenminister die sogenannte „Krisenverordnung“ der EU. Sie ist ein Element des neuen Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, kurz GEAS genannt. Unter anderem könnten die Staaten sich im Fall einer „Krise“ mehr Zeit mit der Registrierung der Geflüchteten lassen, sie könnten die Menschen für längere Zeit internieren und die Hürden für Asyl-Schnellverfahren direkt an den Grenzen würden abgesenkt.

Schon 2020 hatte die EU-Kommission Vorschläge dafür präsentiert. Zunächst waren nur „Höhere Gewalt“ – also etwa Naturkatastrophen – und „Massenankünfte“ als auslösende Ereignisse vorgesehen. In diesem Jahr kam „Instrumentalisierung“ hinzu: Immer dann, wenn ein Nachbarstaat eine größere Zahl Flüchtlinge schickt oder schleust, um einem EU-Staat zu schaden, sollen die Rechte der Ankommenden beschränkt werden.

Hintergrund dafür ist, dass die Türkei, Marokko und Belarus seit 2020 die Grenzen Richtung Griechenland, Spanien und Polen mal länger, mal nur kurz für Flüchtlinge geöffnet hatten, um durch deren Ankünfte politisch Druck aufzubauen.

In Gesprächen mit dem spanischen EU-Ratsvorsitz konnte Deutschland am Donnerstag nun offenbar noch einige Verbesserungen durchsetzen. So soll klarer definiert werden, was eine „Krise“ in der Asylpolitik ist. Berlin setzte sich zudem für humanere Aufnahmebedingungen für Asylbewerber sowie für eine Ausnahme von Familien bei der geplanten Internierung in Auffanglagern ein.

Das heiße Eisen wurde weggeschoben

Allerdings war lange unklar, ob diesem Ergebnis auch genug andere EU-Staaten zustimmen können. Österreich und Tschechien hatten die Krisenverordnung abgelehnt, weil sie ihnen nicht weit genug geht. Seine Skepsis begründete Österreichs Innenminister Gerhard Karner in Brüssel damit, dass „wir in Teilbereichen sehen, dass es zu noch mehr Anziehung kommen könnte“.

Die Krisenverordnung ist Teil eines Pakets zur Asyl- und Flüchtlingspolitik, über das die Mitgliedstaaten mit dem Europaparlament verhandeln. Weil die EU-Staaten sich bisher nicht einig waren, hatten die Abgeordneten die Gespräche ausgesetzt.

Die Innenminister schoben das heiße Eisen am Donnerstag den EU-Botschaftern zu, die sich in Brüssel zu einer Sondersitzung trafen. Ob dieses ungewöhnliche Verfahren – normalerweise entscheidet der Ministerrat – zu einer Einigung führen würde, blieb am Donnerstagabend zunächst offen. Die Chancen stünden 50:50, sagte ein EU-Diplomat. Optimistischer zeigte sich Spaniens Innenminister Fernando Grande-Marlaska: „Wir sind sehr nah an einer Einigung“, erklärte er.

Wenn die Verständigung gelingt, können die EU-Staaten die Verhandlungen mit dem Europaparlament wieder aufnehmen. Das Parlament steht den deutschen Wünschen aufgeschlossen gegenüber. Mit einer abschließenden Einigung im sogenannten Trilog zwischen Rat, Parlament und EU-Kommission wird erst in einigen Wochen gerechnet. Faeser und die meisten EU-Innenminister streben eine Verabschiedung noch vor der Europawahl im Juni 2024 an. Damit solle Populisten der Wind aus den Segeln genommen werden, heißt es in Brüssel. Bis die neuen Regeln umgesetzt sind, könnte es bis zu zwei weitere Jahre dauern.

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