Aufarbeitung der Coronapolitik: Gefährliche Leerstelle

Die Corona-Politik muss aufgearbeitet werden. Dabei sollte es aber vor allem um Lehren für die Zukunft gehen, nicht um Schuldzuweisungen.

Verlassenens Klassenzimmer mit hochgestellten Stühlen

Mit dem Wissen von heute würden die Schulen nicht mehr so lange geschlossen werden Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Die Debatte um die jüngst veröffentlichten Protokolle der Corona-Krisensitzungen beim Robert-Koch-Institut zeigt vor allem eines: Dieses Kapitel ist nicht vorbei. Eine umfassende Aufarbeitung ist nötig, und wenn die nicht von fragwürdigen Medienportalen betrieben sein soll, dann braucht es endlich eine ausreichende politische Initiative dafür.

Es mag ein natürliches Bedürfnis sein, nach einer schweren Zeit voller gesellschaftlicher Verwerfungen, Ängste, Beschränkungen und Trauerereignisse Abstand zu nehmen. So zu tun, als wäre das Ganze nie passiert. Wir wissen allerdings aus der Geschichte, dass dies nur leidlich funktioniert. Etwas bleibt von den Verletzungen und Unsicherheiten und will aufgearbeitet werden – sonst bricht es sich bei Gelegenheit und immer wieder Bahn.

Aufarbeitung ist ein gesellschaftlicher Prozess, der unterstützt sein muss von den politischen und wissenschaftlichen Ak­teu­r*in­nen der Pandemie. Leitmotiv kann dabei nur am Rande die Frage sein, was man damals hätte anders machen müssen. Solche postpandemischen Verurteilungen dürften sich auf wenige politische Handlungen beschränken, die tatsächlich wider besseres Wissen getroffen wurden.

Die meisten der heute absurd, überzogen oder zu lasch erscheinenden Maßnahmen sind aber vor dem Hintergrund großer Unvorhersehbarkeit und sich überschlagender wissenschaftlicher Erkenntnisse vollzogen worden. Entscheidend für die Aufarbeitung ist vielmehr: Was würden wir heute in einer ähnlichen Situation anders machen? Das ist nicht nur ein Unterschied in der Formulierung, sondern macht einen Unterschied in der gesamten Fehlerkultur.

Die Politik muss vorlegen

Die bisherigen Ansätze der Aufarbeitung scheiterten vor allem an Ressourcen. So beklagte ein von der Bundesregierung und dem Bundestag eingesetzter Sachverständigenausschuss 2022, es habe an Personal, Zeit und Daten gefehlt für aussagekräftige Erkenntnisse. Auch für die Medien, die ja selbst nicht zu unterschätzende Akteurinnen in der Pandemie waren, dürfte eine umfassende Aufarbeitung eine Nummer zu groß sein.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Gegen eine formalisierte Aufarbeitung etwa im Rahmen einer Enquete-Kommission verwehren sich bislang Teile der Ampelregierung. Nicht nur Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach fürchtet eine politische Instrumentalisierung im Zuge der anstehenden Wahlkämpfe.

Diese Sorge ist berechtigt. Aber die Leerstelle, die die fehlende politische Initiative zu einer umfassenden und demokratischen Aufarbeitung hinterlässt, wird, wie aktuell zu sehen, bei passender Gelegenheit doch befüllt. Eine Instrumentalisierung ist dann garantiert dabei.

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Redakteurin in der Inlandsredaktion, schreibt über Gesundheitsthemen und soziale (Un-) Gerechtigkeit.

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