Aufstand im Iran: Gegen den kurdischen Widerstand

Die Lage in den Kurdengebieten droht zu eskalieren. Die Regierung geht brutal gegen Proteste vor und greift kurdische Stellungen im Irak an.

Portrait von Esmail Ghaani an einem Mikrofon

Hat mit einer Bodenoffensive im Irak gedroht: der iranische Kommandeur Esmail Ghaani Foto: Vahid Salemi/ap

BERLIN taz | Mehr als zwei Monate nach Beginn der Proteste im Iran spitzt sich die Lage in den kurdischen Gebieten im Nordwesten zu. Die Menschenrechtsorganisation Hengaw warnte am Montag vor einer „humanitären Katastrophe“. Sie berichtete von sechs Personen, die allein am Vortag nach „direktem Beschuss“ durch Regimekräfte in den Städten Dschawanrud und Piranschahr getötet worden seien. „Die iranischen Regierungstruppen eröffneten das Feuer auf die Bevölkerung“, schrieb die Organisation.

Zuvor hatten Augenzeugen gegenüber verschiedenen Medien vor einer dramatischen Verschärfung der Lage und einem drohenden „Massaker“ in der Stadt Mahabad gesprochen. Mahabad liegt ebenfalls in Nordwestiran unweit der Grenze zum Irak. Bewaffnete Truppen seien nach Mahabad entsandt worden, teilte Hengaw mit.

Regimekräfte sollen am Samstagabend mit Panzern in die Stadt eingefallen sein und auf Demonstrierende geschossen haben. Der elektrische Strom dort wurde kurzfristig abgeschaltet, auch es gab Berichte über eingeschränkten Mobilfunk. Die Stadt sei unter „Belagerung der Revolutionsgarden“, berichtete die oppositionelle Exilgruppe Demokratische Partei Kurdistan-Iran (PDKI) am Montag.

Videos, die aus Mahabad stammen sollen, zeigten, wie Uniformierte die Stadt durchkämmen. Andere Videos zeigen brennende Straßenblockaden. Noch kurz zuvor hatten Menschenmengen friedlich in den Straßen demonstriert. Oppositionelle verbreiteten auch Aufnahmen aus der Hauptstadt Teheran, die eine Solidaritätskundgebung zeigen, auf denen der kurdische Aufstand als Vorbild für das ganze Land gefeiert wird.

Breite gesellschaftliche Basis der Proteste

Rund zehn Prozent der iranischen Bevölkerung sind kurdisch. Die aktuellen Proteste hatten im September begonnen, nachdem die iranische Kurdin Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam gestorben war, mutmaßlich nach schwerer Misshandlung. Die Proteste weiteten sich aber auf das gesamte Land aus, auch auf etliche nichtkurdische Regionen.

AktivistInnen wehren sich gegen eine Instrumentalisierung der Kurd*innen. Sie betonen den ethnienübergreifenden Charakter der Protestbewegung, die den Sturz des Regimes zum Ziel hat und offenbar tatsächlich eine breite gesellschaftliche Basis aufweist, die deutlich über den kurdischen Bevölkerungsanteil hinausgeht.

Dennoch hat der mehrheitlich kurdische Nordwesten eine besondere Tradition des Widerstands gegen das islamistisch-schiitische Regime. In Sanandadsch hatten kurdische Re­bel­l*in­nen direkt nach der Ausrufung der Islamischen Republik 1979 gegen die neuen Machthaber aufbegehrt. Der Aufstand wurde niedergeschlagen, wobei Tausende Menschen getötet wurden. Teilweise fanden Re­bel­l*in­nen Unterschlupf im benachbarten Irak.

Im Nordirak, in dem die irakischen Kurden eine verfassungsrechtlich verbriefte Autonome Region verwalten, unterhalten verschiedene bewaffnete iranisch-kurdische Oppositionsgruppen noch heute Stellungen. Von der Autonomieregierung werden sie akzeptiert, während sie der derzeitigen iranfreundlichen Zentralregierung in Bagdad eher ein Dorn im Auge sind.

Iranische Luftangriffe im Irak

Es waren diese Gruppen im Nordirak, die Iran am Sonntagabend mit Raketen und Drohnen angriff. Auf der Webseite der iranischen Revolutionsgarden hieß es am Montag, die Angriffe hätten „separatistischen und terroristischen Gruppen“ gegolten. Teheran wirft den kurdisch-iranischen Exilgruppen vor, die Proteste im Iran zu schüren – was allerdings vor dem Hintergrund der iranischen Staatspropaganda gesehen werden muss, der zufolge die gesamte Protestbewegung ein ausländisches Komplott ist.

Teheran fordert von der Zentralregierung im Irak, die oppositionellen iranischen Gruppen aus dem Land zu werfen oder zu entwaffnen. Sie wirft ihnen vor, auch Waffen über die Grenze in den Iran zu schmuggeln. Die Zentralregierung hat in der Vergangenheit jedoch angegeben, dass dies an der Autonomieregierung im Nordirak scheitere. Esmail Ghaani, Kommandeur der Quds-Einheit der iranischen Revolutionsgarden, hatte deshalb vergangene Woche sogar mit einer Bodenoffensive im Irak gedroht für den Fall, dass Bagdad die gemeinsame Grenze nicht vor den kurdischen Gruppen absichert.

Die PDKI, eine der bewaffneten iranischen Exilgruppen in Nordirak, bestätigte die iranischen Luftangriffe vom Sonntag. Es seien jedoch nicht militärische Stellungen, sondern Flüchtlingslager und ein Krankenhaus getroffen worden.

Iran hatte bereits vergangene Woche sowie Ende September Ziele im Irak angegriffen. Dabei waren laut kurdischen Angaben aus dem Irak rund zwanzig Menschen getötet worden, darunter auch Zivilisten. Nach den Angriffen im September hatte der Irak den iranischen Botschafter einbestellt, ansonsten aber nichts unternommen.

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