Aus Le Monde diplomatique: Richter, Geier und Intrigen

Argentinien muss bei vielen Ländern Schulden begleichen. Zuerst aber soll es Geld an Hedgefonds zurückzahlen. So will es die US-Justiz.

Plakate in Buenos Aires fordern „Souveränität statt Hedgefonds“. Bild: ap

Argentiniens Kampf gegen die „Geierfonds“ ist ein faszinierendes Drama voller Geheimnisse, Gier und politischer Intrigen, mit Bösewichtern, die keiner leiden kann. Zwar ist Hedgefonds-Mogul Paul Singer nicht der Islamische Staat, und es wird keiner enthauptet; aber er und seine greisenhaften Richter-Advokaten sind schreckliche Leute, die Geiseln nehmen und ihre Drohungen auch wahr machen. Unter den Anführern ihrer Gläubigerarmee sind Lobbyisten, die früher der Regierung angehört haben, Leute, über die Mark Leibovich geschrieben hat: „Sie kleben an Washington wie geschmolzener Käse an einem vergoldeten Toaster.“

Auf der anderen Seite haben Länder wie Frankreich, Brasilien und Mexiko gegenüber dem obersten Gericht der USA, dem Supreme Court, sogenannte Amicus-Curiae-Stellungnahmen zugunsten Argentiniens abgegeben. Und die meisten Gutachter – auch einige Ökonomen – scheinen sich einig zu sein, dass das Urteil des New Yorker Bezirksrichters Thomas Griesa vom November 2012 juristisch schlecht gearbeitet war. Darin wird verfügt, dass der Staat Argentinien die Geierfonds auszahlen muss, bevor er die Schulden gegenüber allen anderen Besitzern argentinischer Staatsanleihen bedienen darf, die zuvor einem Schuldenschnitt zugestimmt hatten.

Der Fall hat Bedeutung weit über Argentinien hinaus: Er könnte das Kräfteverhältnis erheblich zugunsten der Gläubiger zahlungsunfähiger Schuldnerstaaten verschieben. Zudem ist der Fall eng mit den Meinungsverschiedenheiten der außenpolitischen Entscheidungsträger in Washington – innerhalb wie außerhalb der Obama-Regierung – verquickt, wie mit Südamerika und seiner in den letzten 15 Jahren entstandenen Unabhängigkeit umzugehen sei.

Die jüngste Phase des Konflikts begann am 16. Juni 2014, als der Supreme Court eine Revision von Griesas Urteil ablehnte. Darin wurden der Klägergruppe um Singers Hedgefonds NML Capital die Summe von 1,33 Milliarden Dollar (einschließlich aufgelaufener Zinsen) zuerkannt. Argentinien hatte sich Ende 2001 nach dreieinhalb Jahren wirtschaftlicher Depression für zahlungsunfähig erklärt, weil es die Zinsen und Tilgungen für Staatsobligationen in Höhe von rund 100 Milliarden Dollar nicht mehr aufbringen konnte. Die Regierung in Buenos Aires hatte kaum eine andere Wahl.

Dieser Artikel, übersetzt von Niels Kadritzke, stammt aus der deutschen Ausgabe von „Le Monde diplomatique“, der weltweit größten Monatszeitung für internationale Politik. Sie liegt in der Regel am zweiten Freitag im Monat der taz bei und ist separat schon ab dem Vortag im Buchhandel sowie an ausgewählten Kiosken erhältlich. Die komplette Ausgabe finden Sie unter www.monde-diplomatique.de.

Bürger- gegen Gläubigerinteressen

Nach jahrelangen Verhandlungen erzielte sie schließlich 2005 eine Vereinbarung mit den Besitzern von 76 Prozent ihrer Obligationen, der bis 2010 noch mehr Gläubiger beitraten. Ihnen allen, die 93 Prozent der Obligationssumme repräsentierten, wurden „restrukturierte Bonds“ (im Wert von etwa 35 Prozent der alten Obligationen) angeboten, die Argentinien seitdem korrekt und pünktlich bedient hat.

Hier traten die „Geierfonds“ in Aktion. Sie kauften einen Teil der notleidenden Obligationen für 20 Prozent ihres Nennwerts auf und klagten dann auf Rückzahlung des vollen Nennwerts (plus aufgelaufener Zinsen). Damit verdienen sie ihr Geld. Die Entscheidung von Richter Griesa würde ihnen eine Rendite von etwa 1 600 Prozent verschaffen, während die argentinische Regierung für die abgewerteten Bonds „nur“ 300 Prozent bietet.

In mancher Hinsicht war es das Musterbeispiel einer gelungenen Umschuldung: Der Schuldendienst wurde ausreichend gestreckt, und die abgeschriebene Schuldensumme war hoch genug, um der argentinischen Volkswirtschaft die nötige Erholung zu erlauben; zugleich war gewährleistet, dass die Gläubiger ein gewisses Interesse an dieser Erholung behielten. Aber weite Teile der Wirtschaftspresse haben es der Regierung in Buenos Aires nie verziehen, dass sie die Interessen ihrer Bürger über die der ausländischen Gläubiger gestellt hat.

Der Wirtschaft Argentiniens geht es inzwischen leidlich gut. Das BIP war nach 2005 zunächst um ein Viertel geschrumpft, entwickelte dann aber einen robusten Aufwärtstrend und erreichte innerhalb von drei Jahren wieder das Vorkrisenniveau. Unter Berücksichtigung der geschätzten Inflation ging in Argentinien die Zahl der Armen bis 2011 um fast 75 Prozent gegenüber dem Tiefpunkt der Krise 2002 zurück. Die Wirtschaft erreichte eine der höchsten Wachstumsraten in ganz Südamerika und die Ungleichheit konnte stark reduziert werden.

Hickhack im Weißen Haus

Seit drei Jahren ist Argentiniens Volkswirtschaft allerdings wieder in ziemlichen Turbulenzen. Die Inflationsrate liegt derzeit zwischen 38 und 40 Prozent, und der Dollarpreis auf dem Schwarzmarkt liegt um etwa 70 Prozent höher als die offizielle Notierung. Dafür gibt es mehrere Gründe: Das globale Wirtschaftswachstum hat seit 2010 deutlich nachgelassen (von 5,2 Prozent auf 3 Prozent im Jahr 2013), das gilt auch für die wichtigsten Handelspartner Brasilien und die Europäische Union. Und da Argentinien nun keine Kredite auf den internationalen Märkten aufnehmen kann, ist seine Zahlungsbilanz gefährdeter als die anderer Länder.

Kein Mensch weiß, warum Richter Griesa ein Urteil gefällt hat, das fast alle Gläubiger Argentiniens zu Geiseln macht. Es verletzt die Grundsätze der Billigkeit, die im US-amerikanischen Rechtssystem verankert sind. Welches Unrecht haben denn die Besitzer der abgewerteten Bonds begangen, dass man sie mit der Konfiszierung ihres Eigentums bestraft?

Griesa scheint aus ideologischen Motiven so entschieden zu haben. Zudem wurden erhebliche Zweifel an seiner fachlichen Kompetenz geäußert. In einer Anhörung im Juli zeigten seine richterlichen Fragen eindeutig, dass dem 84-Jährigen nicht gewärtig war, auf welche Bonds sich seine früheren Entscheidungen bezogen und ob Zahlungen an deren Besitzer fließen konnten.

„Dabei sind diese Fragen entscheidend für das ganze Einspruchsverfahren“, staunte Anna Gelpern, Juraprofessorin an der Georgetown University, die den Fall über die ganzen Jahre verfolgt hat. Für Gelpern ist es „verblüffend“ und „erschreckend“, dass diese Fragen nach „einem der kompliziertesten Finanzprozesse Amerikas“ nur wenige Tage vor dem Zahlungsausfall Argentiniens auf den Tisch kamen.

Ärger mit dem IWF

Womöglich noch erschreckender ist, dass die Berufungsinstanzen das Urteil Griesas nicht aufgehoben haben. Es wurde zunächst vom U.S. Court of Appeals for the Second Circuit bestätigt, bei dem das US-Justizministerium eine Stellungnahme zugunsten Argentiniens eingereicht hatte. Am 16. Juni lehnte dann der Supreme Court in letzter Instanz eine Revision ab.

Damit sind wir bei den Intrigen innerhalb der US-Regierung. Am 17. Juli 2013 hatte IWF-Chefin Christine Lagarde angekündigt, dass der IWF beim Supreme Court eine Stellungnahme zugunsten Argentiniens einreichen würde. Doch sechs Tage später wurde diese Entscheidung vom IWF-Exekutivdirektorium zurückgenommen.

Für Lagarde und den IWF war das eine peinliche Geschichte, und sie machten keinen Hehl aus ihrer Irritation: Als IWF-Pressesprecher William Murray am 24. Juli auf diese Entscheidung angesprochen wurde, antwortete er knapp: „Gehen Sie zum US-Finanzministerium und fragen Sie nach einer Erklärung für deren Entscheidungen.“ Aber dafür war anscheinend kein Journalist neugierig genug.

Die Intervention des US-Finanzministers auf IWF-Ebene zeigt, dass Washington seine eigene Position revidiert hatte und es für zumindest nicht wichtig hielt, dass der Supreme Court das präzedenzlose Urteil von Richter Griesa revidieren ließ. Natürlich gab es im IWF wie im Finanzministerium viele Leute, die wie Lagarde genau verstanden, wie wichtig diese Sache war. „Leitung wie Mitarbeiter des IWF bleiben besorgt über die weitgehenden systemischen Implikationen, die der Spruch des nachgeordneten Gerichts für den Prozess der Umschuldung haben könnte“, ließ der IWF verlauten, nachdem er seine Position gegenüber dem Supreme Court nicht vertreten konnte.

Die Macht der Anti-Kuba-Delegation

In den meisten Staaten gibt es nationale Gesetze, die es Kreditnehmern bei Zahlungsschwierigkeiten gestatten, Insolvenz anzumelden und neu zu beginnen. Auf internationaler Ebene gibt es kein entsprechendes Verfahren für Regierungen. Hier liegt der Ausweg in Umschuldungsverhandlungen, wie sie Argentinien geführt hat, um einen unkontrollierten Zahlungsausfall zu vermeiden. Aber Griesas Entscheidung macht es sehr viel schwerer, Einigungen durch Verhandlungen zu erzielen und das Erreichte auch umzusetzen. Denn jede kleine Gruppe von Geiern kann so die Abmachung mit den übrigen Gläubigern torpedieren.

Wer hat also das US-Finanzministerium dazu bewogen, seine Haltung zu ändern? Die Zahl der Verdächtigen ist groß. Die Geierfonds haben ihre eigene Lobby, die berüchtigte „American Task Force Argentina“. Sie ist gut vernetzt, wird von ehemaligen Clinton-Mitarbeitern instruiert und hat für diesen Fall über eine Million Dollar ausgegeben. Aber die entscheidenden Figuren sind eher die Neokonservativen im Kongress, insbesondere die rechte Anti-Kuba-Delegation aus Florida.

Diese Leute haben die gespaltene Obama-Regierung blockiert, wann immer sie die Beziehungen mit Lateinamerika zu verbessern suchte. Sie sind gegen alle Regierungen links der Mitte, sogar gegen die brasilianische, und haben ihre Strategie immer wieder bei der US-Regierung durchgesetzt, vom Militärputsch 2009 in Honduras bis zur Haltung gegenüber Venezuela.

Besonders krass zeigte sich der Einfluss der Neocon-Florida-Fraktion, als der republikanische Abgeordnete Mario Diaz-Balart aus Florida Finanzminister Jacob Lew unbedingt zu dem Eingeständnis bringen wollte, er habe Mexiko aufgefordert, sich beim Supreme Court für die Sache Argentiniens einzusetzen. Lew bestritt, das getan zu haben, räumte aber ein, dass die mexikanische Regierung gewiss nicht ohne Zustimmung Washingtons so gehandelt hätte. Diaz-Balart reagierte verärgert. Mittlerweile blockieren die Republikaner im Repräsentantenhaus sogar die US-Zahlungen an den IWF. Damit ist ziemlich klar, wer in dieser Affäre die Strippen gezogen hat.

Solidarität der Entwicklungsländer

Was bedeutet dies nun für die Zukunft Argentiniens, der westlichen Hemisphäre und darüber hinaus? Pressemeldungen zufolge habe „Argentinien zum zweiten Mal in 13 Jahren seine Zahlungen für Anleiheschulden eingestellt“. Doch das stimmt so nicht: Noch am 26. Juni hat die Regierung in Buenos Aires die vereinbarten Gelder für die Rückzahlung an die Bank New York Mellon (BNYM) überwiesen, die an die Anleihenbesitzer ausgezahlt werden sollten.

Die BNYM hat die Gelder jedoch auf Anordnung von Richter Griesa einbehalten. Dennoch wird Argentinien seine Gläubiger – notfalls unter Umgehung des US-Rechtssystems – auszahlen und will durch ein nationales Gesetz ermöglichen, dass der Zahlungsort der Auslandsschuld nach Buenos Aires verlegt wird.

Bedeutsamer wird wohl die wachsende Solidarität unter den Entwicklungsländern sein. Die reichen Länder demonstrierten ihre volle Solidarität mit der Finanzelite am 9. September in New York, als die UN-Vollversammlung die Empfehlung verabschiedete, ein neues Verfahren zur Umstrukturierung von Staatsschulden zu gründen. Es gab 124 Stimmen dafür und 11 dagegen, bei 41 Enthaltungen. Die USA, Israel, Kanada, Australien und Deutschland stimmten mit Nein, die übrigen EU-Länder enthielten sich. Für den linken Ökonomen Joseph Stiglitz steht fest, dass es die Geierfonds waren, die das negative Votum der USA herbeigeführt haben.

Die Entwicklungsländer können diese Auseinandersetzung gewinnen, wenn sie die Ausgabe ihrer Staatspapiere an einen anderen Ort verlegen. Sie haben dazu auch allen Grund, nachdem der Fall Argentinien schwerwiegende Zweifel an der Unabhängigkeit der US-Justiz in Bezug auf die Rechte internationaler Investoren geweckt hat.

Der Aufstieg des globalen Südens

Großbritannien und Belgien haben heute schon Gesetze, die eine Intervention à la Griesa unmöglich gemacht hätten. Würden also einige Länder die Ausgabe von Staatspapieren von New York an andere Finanzplätze verlegen, könnte dies bewirken, dass die USA ihre Gesetze den internationalen Normen anpassen.

Was Argentinien betrifft, so war das Land 2006 dank eines von Venezuela gewährten 5-Milliarden-Dollar-Kredits in der Lage, den IWF auszuzahlen und sich von dessen Einfluss zu befreien. Und die Vereinbarung mit China über einen Währungsswap in Höhe von 11 Milliarden Dollar wird Buenos Aires helfen, seine Zahlungsbilanz auszugleichen.

Die Geierfonds und diejenigen, die Argentinien für seine Eigenmächtigkeit bestrafen wollen, versuchen das Land mithilfe der Macht der internationalen Finanzmärkte in die Knie zu zwingen. Die argentinische Regierung hat bereits einen ersten Schritt zur Rückkehr auf den internationalen Anleihenmarkt vollzogen, als sie im Mai eine Vereinbarung mit dem Pariser Klub der Gläubigerstaaten schloss. Aber Washington verhindert nach wie vor aus rein politischen Gründen neue Kredite für Buenos Aires, bei der Weltbank ebenso wie bei der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB).

Die letzten zehn Jahre zeigen aber auch, dass sich Argentinien trotz des Ausschlusses von den internationalen Anleihemärkten ziemlich gut gehalten hat. Daraus kann man den Schluss ziehen, dass unabhängige Regierungen nicht ganz so hilflos sind, wie viele denken, zumal ihre Bedeutung innerhalb der globalen Wirtschaft wächst. Wie die Abstimmung in der UN-Vollversammlung vom 9. September gezeigt hat, werden die Veränderungen der internationalen Wirtschaftsbeziehungen vom globalen Süden ausgehen. Und die reichen Länder werden das akzeptieren müssen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.