Außenlager von Neuengamme: KZ-Baracken in Firmenbesitz

In Wilhelmshaven legten Rodungen die Fundamente ehemaliger KZ-Baracken frei. Doch das Gelände gehört der Firma Nordfrost. Nun ist die Frage, was damit passiert.

Beinahe vergessen: Die Baracken der KZ-Häftlinge lagen hinter dem Gedenkstein. Bild: Markus Hibbeler

BREMEN | taz Von Gras und Büschen überwuchert lag die Fläche am Alten Banter Weg in Wilhelmshaven jahrelang brach. Im Frühjahr begann die Firma Nordfrost mit Rodungen auf dem Gelände, und was dabei zum Vorschein kam, machte Gabriele Kästner aufmerksam. Denn der 61-Jährigen ist die Erinnerung an die nationalsozialistische Vergangenheit ihrer Stadt wichtig, und die Arbeiten förderten Fundamente von Baracken zu Tage, in denen von September 1944 an etwa 1.200 KZ-Häftlinge lebten.

Gabriele Kästner befürchtete, dass auf dem Gelände ein Kühlhaus entstehen sollte. Diese Befürchtung hat die Eigentümerin des Geländes, die Firma Nordfrost, mittlerweile zerstreut: Eine Bebauung sei nicht geplant, sagt eine Firmensprecherin. Trotzdem hinterlässt der Fund der Fundamente ein Unbehagen bei Gabriele Kästner und ihren MitstreiterInnen: Bereits seit Mitte der 1980er-Jahre ist in Wilhelmshaven bekannt, dass sich am Alten Banter Weg ein Außenlager des KZ Neuengamme befand. Die Stadt bekam damals 1.700 Quadratmeter des Geländes und stellte Informationstafeln und einen Gedenkstein auf. Doch die Baracken der Häftlinge in Wilhelmshaven, das recherchierte die Gruppe um Gabriele Kästner, befanden sich gar nicht dort, wo der Gedenkort eingerichtet worden war. Den Gedenkort hatte man ausgerechnet an der Stelle platziert, an der die SS-Wachmannschaft wohnte. Die Häftlinge dagegen wohnten in jenem Teil des Geländes, der heute der Firma Nordfrost gehört.

Die größtenteils französischen Häftlinge arbeiteten für die Kriegsmarine. Sie bekamen nicht ausreichend Nahrung, wurden von den SS-Männern misshandelt und mussten sieben Tage die Woche zwölf Stunden lang schuften. 249 Menschen starben. An 87 Orten in Norddeutschland wurden meist gegen Ende des Zweiten Weltkrieges solche Außenlager errichtet, in denen Häftlinge aus Neuengamme zu Arbeitseinsätzen gezwungen wurden.

Streit gab es nun in Wilhelmshaven auch über die Art und Weise, wie die Firma Nordfrost ihre Rodungen auf dem Gelände durchführte. Mit schwerem Gerät, Baggern und LKWs seien die Bauarbeiter zu Gange gewesen, das zeigten die Reifenspuren, die sie hinterlassen haben, so Ralph Herrmann, Sprecher der Linkspartei in Wilhelmshaven. "Bei der letzten Rohdung wurden auch Grundmauern entfernt", so Herrmann. Die Trümmer seien auf eine Bauschutt-Deponie abgefahren worden. "Es ist pietätlos, was da abgeht."

Die Sprecherin der Firma Nordfrost widersprach dieser Darstellung. Es seien Pflege- und Aufräumarbeiten durchgeführt worden, der "extreme Bewuchs durch Brombeerbüsche" entfernt worden. "Diese Arbeiten fanden an der Oberfläche des Geländes statt, Erdarbeiten wurden dabei nicht vorgenommen", so die Sprecherin. Laut Herrmann seien die Arbeiten erst abgebrochen worden, nachdem Protest laut geworden war.

Was nun mit dem Gelände passiert? Laut Bebauungsplan stehe einem Neubau nichts im Weg, sagt der Leiter des Wilhelmshavener Bauordnungsamtes Anton Englisch. Seine Behörde ist auch für die Denkmalpflege zuständig. Für eine Änderung des Bebauungsplan müsse ein "öffentliches Interesse" bestehen, ein Antrag gestellt werden, um den Bereich als Denkmal anzuerkennen.

Dafür holte sich Kästners Gruppe Hilfe. Mit dem Bauhistoriker und Leiter der Gedenkstätte Sandbostel, Andreas Ehresmann, gingen sie vor ein paar Tagen über das Gelände. Sie fanden Geschirr von 1938, mit Adler und Hakenkreuz.

Ehresmann erstellte ein Gutachten und bestätigt: "Direkt angrenzend an das Gelände des Gedenkortes liegt der Appellplatz, der Lagereingang und eine Hinrichtungsstätte. Diesen Bereich kann man anhand der Fundamente identifizieren." Er empfiehlt, das Gelände als Bodendenkmal zu schützen und die Gedenkstätte zu erweitern. "Momentan geht man zum Gedenken an den Ort der Täter", so Ehresmann.

Ein Sprecher der Stadt sagte, die Einschätzungen Ehresmanns seien an das übergeordnete Landesamt für Denkmalpflege in Oldenburg weitergeleitet worden. Dort werde das Anliegen geprüft. Über eine Erweiterung des Gedenkortes sei das Wilhelmshavener Amt für Denkmalpflege bereits mit Nordfrost im Gespräch. Er sei sich sicher, so der Sprecher, dass man zu einer Lösung kommen werde. Die Nordfrost-Sprecherin sagte, man sei sich bewusst, dass es ein geschichtsträchtiges Gelände sei.

Gabriele Kästner ist vor allem die Erinnerung an die Opfer wichtig, egal, ob in Form einer erweiterten Gedenkstätte oder in Form eines Biotops.

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