Ausstellung „Ghosting“ in Hohenlockstedt: Bleibende Verluste

Zack, aus, plötzlich weg: „Ghosting“ kennen wir vom Online-Dating. Der gleichnamigen Ausstellung zufolge erklärt das Phänomen aber so manches mehr.

Blick von außen auf das Gebäude der Arthur-Boskamp-Stiftung: fünf hohe rechteckige Fenster, mit weißem Stoff verhängt; davor fährt eine Fahrradfahrerin vorbei

Verhangene Fenster: wo der besondere Raum des „white cube“ und die Kleinstadt sich berühren Foto: Jens Franke

Ist es schon ein Buzzword? „Ghosting“ begegnen wir längst auch im Ratgeberteil von Fernsehzeitschriften, aber eigentlich kennen wir den Begriff aus der Online-Welt, genauer: der Welt der online erledigten Beziehungsanbahnung und -pflege. „Ghosting“ ist, wenn einer sich dem anderen ganz plötzlich entzieht: verstummt, verschwindet, ohne Erklärung, zack, aus.

Nicht, dass es so was nicht auch vor dem Internet und Datingapps gegeben hätte. Aber leichter fällt solcher Rückzug wohl, je mehr Beziehung, auch Beziehungspraxis, sich stützt auf mediale, auf technische Vermittlung – die ja selbst weiß Gott nicht frei ist von Gespenstischem.

Seinem eigenen Erfinder, Alexander Graham Bell, erschien das Telefon nicht bloß als wissenschaftlich zu erklärender Apparat. Und nur mit dem Griff ins Vokabular des Übernatürlichen wäre doch vor zwei, drei Generationen noch zu erklären gewesen, dass uns die ferne Oma nun im Bewegtbild erscheinen kann.

Und nun also hat die Arthur-Boskamp-Stiftung im schleswig-holsteinischen Hohenlockstedt ihr Programm für das laufende Jahr so überschrieben: „Ghosting“. Und damit zunächst einmal eine Ausstellung in ihrem white cube, dem Anbau der „Massivbaracke 1“, kurz: M.1, deren Erhalt ja lange die sichtbarste Aktivität der Stiftung vor Ort war. Ums Beziehungsghosten geht es da auch – aber nur unter anderem.

Verweis aufs Ausgesparte

„Wenn man schon mal geghostet wurde“, sagt Agnieszka Roguski, „dann weiß man: Die Person, die einen ghosted, wird dadurch umso lebendiger.“ Wenn etwas verschwinde, so die Kuratorin weiter: „Was ist dann das Nachleben? Wie lebt es auf?“ Es sei damit ja anders als etwa mit einer bloßen Erinnerung, die auf ein Foto gepackt werden könne oder als Ding in ein Archiv gelegt. „Es geht um diese Heimsuchungen, die Teil der Gegenwart sind.“

Wodurch Ghosten und Geghostet-Werden allgemeinere Aussagen ermöglichten über das Jetzt: Es macht sichtbar und verweist auf das, „was gerne ausgespart wird, was als Konflikt beiseite geschoben wird, was nicht so richtig reinpasst: das Abseitige, das Marginalisierte, das, was kein Zuhause hat, das, was in der Geschichte gerne übersehen wird“.

Da, spätestens, ist die rein romantisch-private Ebene dann verlassen: Solches Ausblenden, Nicht-so-gerne-Erinnert-Werden gibt es ja auch im politischen, globalen Rahmen. Und in diesem Sinne handelt „Ghosting“ dann plötzlich auch vom Absolutheitsanspruch eines „Kapitalistischen Realismus“, wie ihn der linke Theoretiker Mark Fisher analysiert hat.

Beim Betreten wird der Besucher vor allem erinnert an die Wurzeln des so aufgeladenen G-Worts, ans Spuken, an die Gespenster (etwas) anderer Art: Da sind Möbel, ein ganzer Haufen davon, mit weißem Tuch verhängt, wie sie im selten oder gar nicht mehr benutzten Flügel eines entlegenen Landhauses stehen könnten.

Ghosting: bis 29. 10., Hohenlockstedt, Arthur-Boskamp-Stiftung/M.1

Führung mit Svenja Kirsch: So, 25. 6., 15 Uhr

Eröffnung „Ghosting Kapitel II“/Kuratorinnenführung mit Agnieszka Roguski: Sa, 22. 7., 15 Uhr

Über die Gründe für dieses Stilllegen – hier mal nicht einer Beziehung – würde etwa in der viktorianischen Spukgeschichte tunlichst nicht gesprochen, zumindest nicht mit Außenstehenden: Zu schrecklich, was sich hier zutrug, zu gruselig, was hier seitdem herumspukt.

Beim Herumgehen um das unförmige große weiße Objekt – gestaltet hat diesen Teil der Ausstellung Martha Schwindling aus Berlin – offenbaren sich eine Leinwand und ein paar auf sie hin orientierte Stühle, ebenfalls verhängt mit weißen Laken, also dem elementaren Gespenster-Kostüm.

Hier werden zwei Videoarbeiten gezeigt, noch bis zum 21. Juli sind das „In My Room“ (2020) von Hannah Quinlan und Rosie Hastings, sowie Natasha Tonteys „Garden Amidst the Flame“ (2022); zwei formal wie inhaltlich sehr unterschiedliche Annäherungen an Übergänge und Nachwirkungen.

Und dann gibt es im Raum noch zwei Installationen aus ganz handfesten Objekten: Orawan Arunraks „After This …“ (2021–2022) und Tra My Nguyens „Bodies“ (2019–20) – keine „monumentalen Kunstwerke“, sagt Roguski, „sondern Aufscheinungen“. Wiederum ganz unterschiedliche Befassungen mit dem Dazwischen, dem Vorläufigen, dem Nicht-ganz-Geklärten. Viel mehr sei hier gar nicht dargelegt, denn – falls das nicht klar wurde – einen Ausflug nach Hohenlockstedt, der Kunst wegen, empfehlen wir ganz ausdrücklich.

„Höger-Bau“ wird renoviert

Und schließlich: Auch die Stiftung selbst … nun, sie stirbt nicht oder verschwindet komplett aus dem kleinen, so wenig zu diskursiv-ambitionierter Kunst passenden Hohenlockstedt. Aber ihre Aktivitäten werden absehbar doch ihre Gestalt verändern, es könnte also wirken, als wäre da etwas weg, das gerade erst ein paar Jahre lang da war: Man renoviert derzeit den historischen „Höger-Bau“, ein paar Straßen weiter, das bindet zumindest für eine Zeit Ressourcen.

Verschwinden und Rückzug, zumindest vermeintlich und, tja, die Hoffnung auf vielmehr sogar noch gewachsene, wirkungsvollere Anwesenheit: Dinge, die die Institution und ihre Verantwortlichen derzeit ganz persönlich umtreiben dürften.

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