Ausstellung Osnabrücker NS-Widerstand: Flugblätter in Fahrradreifen

„Parolen aus dem Koffer“ zeigt, wie raffiniert Osnabrücks Antifaschisten gegen den NS kämpften. Ohne Texttafeln, dafür mit skurrilen Exponaten.

Menschen arbeiten im Freien vor einem alten Backsteingebäude.

Idealer Ort für die Ilex-Ausstellung: das ehemalige Arbeitslager Augustaschacht Foto: Friso Gentsch

Ein Fahrrad, mit Flugblättern im Reifen, ein Koffer, mit dem sich Schrift aufs Straßenpflaster stempeln lässt. Luftballons, mit Infotexten dran. Ein Brett, das Polit-Botschaften aus einem Dachfenster kippt, wenn der Sand, der es in der Waagerechten hält, aus seinem Eimer gerieselt ist.

Die Ausstellung „Parolen aus dem Koffer – Auf den Spuren des Widerstands in Osnabrück“ konfrontiert uns mit skurrilen Exponaten. Die Gedenkstätte Augustaschacht, ein Gestapo-KZ unweit des niedersächsischen Osnabrück, ist dafür die ideale Umgebung.

Erdacht durch den Osnabrücker Ilex-Kreis, eine lokale Gruppe privater, nebenberuflicher RechercheurInnen zur NS-Zeit, erinnert „Parolen“ an Couragierte, die sich dem braunen Terror entgegengestellt haben, als die Mehrheit schwieg, wegsah, mitlief, schuldig wurde.

Fahrrad, Koffer, Luftballons und Brett sind Nachbildungen. Sie illustrieren die konspirative Kreativität und Raffinesse, mit der Osnabrücks Untergrund seinen Kampf geführt hat. Wie sie funktionieren, macht der Künstler Manfred Blieffert, der die Schau für Ilex gestaltet hat, in Tests anschaulich; auf Video ist das zu sehen. Auch Besuchende können zur Tat schreiten: Zigarettenpapier und Bleistifte liegen bereit, für winzige Botschaften.

Satire und Ironie gegen Nationalsozialisten

Die Ausstellung konfrontiert uns mit Schicksalen. Auch der Antifaschist Josef Burgdorf begegnet uns hier, Redakteur der Osnabrücker SPD-Tageszeitung Freie Presse, nach dessen Pseudonym sich der Ilex-Kreis benannt hat. Burgdorf schreibt satirisch-ironisch gegen die Nationalsozialisten. 1933 wird er von ihnen festgesetzt und misshandelt, muss mit dem Schild „Ich bin Ilex“ durch die Innenstadt laufen.

Ein Koffer, mit dem sich Schrift auf die Straße stempeln lässt, und Flugblätter in Fahrradreifen

Und Blieffert baut nicht nur Widerstandsinstrumente nach. Seine grauen Malgründe symbolisieren Straßenbelag, Häuserwände. Weiße Farbe, hastig verstrichen, rinnt herab. Am Ende der Schau zeigt sie eine bohrende Frage: „Und wo wärest du?“

„Klassischerweise erwartet man bei einem solchen Thema ja Texttafeln, Fotos, Dokumente, Exponate in Vitrinen“, sagt Ilex-Mitglied Heiko Schulze. „Wir wollten das anders machen.“

Der Ilex-Kreis, obwohl nur wenige Köpfe stark, ist produktiv. Rund 110 lokale Widerständler hat er bisher dokumentiert – eine beeindruckende Zahl. Sie bedeutet nicht, dass der Widerstand in Osnabrück besonders stark war oder besonders nachhaltig. Aber sie zeigt: Gegenwehr war möglich.

Über 100 wahre Widerständler

Der Ilex-Kreis ist vor Jahren wegen eines Namensstreits entstanden. Die „Villa Schlikker“ des Museumsquartiers Osnabrück (MQ4), von 1932 bis 1945 als „Adolf-Hitler-Haus“ Zentrale der Osnabrücker NSDAP, sollte zum „Hans-Calmeyer-Haus“ umbenannt werden. So wollte es ein durch die CDU initiierter Stadtratsbeschluss. Dass es nicht so kam, dass sie „Die Villa_Forum für Erinnerungskultur und Zeitgeschichte“ heißen wird, ist auch einer Ilex-Denkschrift zu verdanken. 2024 wird sie als Lernort zur NS-Geschichte neu eröffnet.

Sicher, der Osnabrücker Jurist Calmeyer, bis Herbst 1944 hochrangiger NS-Verwaltungsbeamter in Den Haag, hat Juden vor dem KZ bewahrt. Aber er hat zugleich Juden in die Vernichtung deportiert und dem Deutschen Reich niederländische Zwangsarbeiter zugeführt (taz berichtete). Die Denkschrift stellt ihm über 100 wahre Widerständler gegenüber – von KPD-Mitglied Babette Altmühl, die vermutlich im KZ Ravensbrück umkam, bis zu Hans Wunderlich, wie Burgdorf Redakteur der Freien Presse.

Diese Liste hat Ilex seither weitergeführt. Namen aus ihr finden sich in „Parolen aus dem Koffer“. Namen aus ihr finden sich in dem Buch „Widerstand im Osnabrück der NS-Zeit 1933–1945. 36 Schicksale“, das die Ilex-Mitglieder Heiko Schulze, Martina Sellmeyer, Dieter Przygode und Hartmut Böhm geschrieben haben und das in Kürze erscheint. Namen aus ihr finden sich in der Ilex-Serie „Widerstand im Osnabrück der NS-Zeit“ des Online-Magazins Osnabrücker Rundschau. Es sind Geschichten, über die bisher wenig bekannt war. Ilex, gut vernetzt, auch in der akademischen Welt, durchforstet Archive, macht Angehörige ausfindig.

Auserzählt sind diese Geschichten noch lange nicht. Dennoch will Ilex seinen Fokus erweitern. „Wir befassen uns in Zukunft auch mit den Tätern der NS-Zeit“, sagt Schulze. „Es gibt viel zu tun.“

Einer dieser Täter, Wilhelm Münzer, von 1934 bis 1940 Kreisleiter der NSDAP Osnabrück-Stadt, später Beauftragter des Reichskommissars der Niederlande für die Provinz Zeeland, wird Ilex wieder mit Calmeyer konfrontieren. Nach dem Krieg vertrat Calmeyer Münzer in dessen Entnazifizierungsverfahren. Der glühende Antisemit Münzer kam als „minderbelastet“ davon.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.