Beerdigung und Leichenschmaus: Wir lachten an diesem traurigen Tag

Unser Autor war schon bei dem ein oder anderen Leichenschmaus und weiß: Sie sind ein guter Anlass, um das Leben zu würdigen.

Illustration: Eléonore Roedel

Ist eine Beerdigung nicht so was wie ein Absacker auf ein langes Leben? Nur das der Gastgeber fehlt? Wenn man selbst in der Warteschlange zum Paradies einen Platz nach vorne gerückt ist, rücken auch gleichzeitig die Freuden des Lebens wieder in den Vordergrund. Deswegen erinnere ich mich besonders gerne an einen Satz meines Vaters: „Und wenn mir der Suppenlöffel ein letztes Mal aus der Hand gefallen ist, soll keiner nüchtern bleiben!“

Wir lachten noch häufig an diesem traurigen Tag. Wie das bei Beerdigungen eigentlich üblich ist. „Gesetzt den Fall, man lässt es zu“, sagte meine damalige Freundin. „Gesetzt den Fall, das Essen ist gut“, sagte ich. „Gesetzt den Fall, es gibt Alkohol“, sagte ein Typ, der zur Trauergemeinde gehörte. Wie leicht es doch ist, Menschen eine Freude zu machen, dachte ich mir, als der Oberkellner kam und uns Wein einschenkte.

Es war ein Wein, den wir uns bequem auch noch am nächsten Morgen zum Frühstück im Bett genehmigt haben. Die Flasche kostete nicht weniger als 20 Euro. Und gepasst hat sie zum Rest. Es gab Rinderbraten mit Rotweinsoße, Rotkohl mit mindestens zehn Zutaten und Kartoffelbrei mit ordentlich Butter dran. Der ist sehr wichtig, weil viele alte Menschen auf Beerdigungen nicht mehr so gute Zähne haben. Zum Nachtisch Tiramisu. Für Kinder ohne, für Erwachsene mit Nusslikör.

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Genießerisches Dasein, vulgo maßvolles intelligentes Amüsement, kann nur vor dem Hintergrund des Endlichen richtig erfasst werden“, sagte Grimod de la Reynière, der Begründer der Gastrokritik. Was aufgetischt wurde, war ein Festmahl in obszöner Pracht und gewiss auch teuer, aber welche Rolle spielt schon Geld bei der letzten Reise?

Bei solchen Gelegenheiten zeigt sich Stil. Nicht darin, wie viel Geld man ausgibt. Sondern darin, wie man das Leben würdigt. Wenn man beim Leichenschmaus alles richtig macht, wird die Zunge locker und die guten Geschichten werden ausgepackt, die man sich früher nur hinter vorgehaltener Hand erzählt hat. Sie werden prustend erzählt, gestikulierend, mit dicken Tränen und unter lautem Gelächter.

Beerdigung mit Kartoffelsuppe und Bockwurst

Da wären zum Beispiel Hunderte Geschichten von meinem alten Rugby-Trainer. Er hieß André und er war Franzose, der mal Profispieler in Rouen, nordwestlich von Paris war, zweite Liga. „Du musst das Leben tackeln“, sagte er einmal zu mir. Aus ein paar Hanseln, die auf einer öffentlichen Wiese trainierten, machte er eine Mannschaft, die sogar recht ansehnlichen Rugby spielte. Er war ein Kämpfer wie der biblische Samson, der 1.000 Feinde mit einem Eselkiefer erschlug. Nur seinen letzten Kampf verlor er. Den gegen den Krebs.

In der Antike hat man für den Verstorbenen mitgedeckt, weil man glaubte, dass er noch anwesend ist

Auf seiner Beerdigung gab es Kartoffelsuppe mit Bockwurst und Kaffee und Kuchen und wir alle haben Snacks mitgebracht, und während wir spachtelten, erzählten wir Anekdoten.

Sie handelten von Andrés Auto, das immer nach Käse roch, weil er ein Genießer war. Sie handelten vom gebrochenen Handgelenk eines Polizisten, weil André sich nicht festnehmen lassen wollte. Sie handelten davon, wie André Wohnungen für uns organisierte oder uns Jobs vermittelte. Davon, wie dieser kleine Mann mit großem Herzen einst mit Salami im Gesicht aufgewacht ist, weil er nach seinem abendlichen Cannabistee einen Fressflash hatte. Und wir lachten und wir weinten und wir aßen und wir tranken im Wechsel, und es war schön.

Und ab irgendeinem Moment verschwimmt die Erinnerung zu einem diffusen Gefühl, das den Moment zur Essenz verdichtet. Ich weiß nur noch, dass der Raum erfüllt war mit weichem Licht, und wir mit jedem Bissen und jeder vorgetragenen Anekdote ein bisschen mehr Dankbarkeit verspürten, diesen Menschen in unserem Leben gehabt zu haben. Dann ist es auch gar nicht schlimm, wenn man dem Verstorbenen noch ein paar Extralorbeeren in die Suppe legt.

Letzter Rausch beim Leichenschmaus

In der Antike hat man beim Leichenschmaus für den Verstorbenen noch einen Teller mitgedeckt, weil man der Meinung war, dass er auch noch anwesend ist. Ein letztes Mahl. Ein letzter Rausch. Ein letzter Abend. Man war überzeugt, der Geist ist noch da. Als wäre er an der Himmelspforte abgewiesen worden, weil er etwas vollenden muss.

So könnte es beim toten Opa meiner Freundin Anne gewesen sein. Der war nicht sonderlich sympathisch. „Der hat immer sein Gebiss rausgeholt und mir und meinen Geschwistern damit in den Arsch gebissen“, erzählt sie. Und er hat die Leute gerne gefragt: „Hast du Nasenhaare?“ Dann musste man mit Ja antworten. Und dann hat er gesagt: „Ja schön. Ich hab’ Haare am Arsch, kannste zusammenflechten.“

Auf seiner Beerdigung gab es Apfelkuchen und Kaiserschmarrn. Superlecker, sagen sie alle. Und es gab Schnitzel in seiner Lieblingspinte und gesoffen wurde da. Aus der Pinte ging es an einen Platz im Grünen, mit Teich und in der Natur. Trinken unter freiem Himmel. Schnaps aus dem Becher und Glühwein aus der Thermos­kanne. „Das hätte dem Opa gefallen“, sagt Anne. Auch wenn der Mensch nicht nett und lieb war. Schmerzlich ist der Abschied dann ja doch.

Die Beerdigung war so schön, dass man dachte, er sei dabei, etwas wiedergutzumachen. Vielleicht weil er ein schlechtes Gewissen hatte. „Nicht sonderlich sympathisch“, meint übrigens, dass dieser Mensch den Charme des Ekels Alfred versprühte oder den vom Alten Sack aus den „Das kleine Arschloch“-Comics. Wie hält man es denn dann mit der Trauerrede? Es ist ja so eine Sache mit der guten Rhetorik. Sie nützt der Wahrheit genauso wie der Lüge. Darf man jetzt schlecht über Menschen sprechen, wenn sie nicht nett waren? Darf man lügen, um das Andenken zu verklären?

In solchen Fällen ist man souverän, wenn man einfach den Mund hält. Anne und ihre Familie bastelten ein Floß, dass auf dem Teich segeln sollte. Mit den letzten stillen Grüßen. Es war ein kleines Floß aus Holz, dass im Teich schwamm, darauf eine Kerze und die letzten Wünsche und in der Luft war ein Duft von Glühwein und Kaiserschmarrn und Apfelkuchen. Und das Floß sollte losfahren. Es sank auf der Stelle. Und sie lachten.

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