Berliner S-Bahn-Chaos: Nahverkehr auf dem Abstellgleis

Personalabbau, geschlossene Werkstätten, verschrottete Ersatzzüge, fehlende Kontrollen: Die Privatisierungspolitik der Bahn AG stürzt den S-Bahn-Verkehr ins Chaos.

Wurde zu einem Sanierungsfall herabgewirtschaftet: Die Berliner S-Bahn. Bild: dpa

BERLIN taz | Berliner und Hauptstadttouristen können aufatmen: Nach dreiwöchigem Stillstand auf der wichtigsten Ost-West-Achse der S-Bahn wird der Streckenabschnitt zwischen Alexanderplatz, Hauptbahnhof und Zoologischer Garten ab Montag wieder befahren - allerdings nur mit einem stark ausgedünnten Angebot, das immer noch weit von der Norm entfernt ist. Der Normalfahrplan wird frühestens ab Dezember wieder gelten.

Grund für die Probleme bei der S-Bahn, die ein Tochterunternehmen der Deutschen Bahn (DB) AG ist, sind defekte Bremszylinder. Diese wurden nicht, wie vom Hersteller vorgesehen, regelmäßig gewartet beziehungsweise ausgetauscht. Hintergrund für die Schlamperei in den Werkstätten ist der beispiellose Sparkurs, den Ex-Bahnchef Hartmut Mehdorn durchgedrückt hatte. Die S-Bahn, die jährlich Millionensubventionen vom Land Berlin erhält, sollte immer höhere Gewinne an den Mutterkonzern abführen, um dessen Bilanz für den geplanten Börsengang aufzuhübschen. Personal auf den Bahnhöfen wurde abgebaut, Ersatzzüge wurden verschrottet, Werkstätten geschlossen. Allein 2009 sollte die S-Bahn der DB AG nach Betriebsratsangaben knapp 88 Millionen Euro verschaffen, 2010 sollte es schon ein dreistelliger Millionenbetrag sein. Die Folgen dieser Privatisierungspolitik baden die Berliner und ihre Besucher nun aus - und nur dem Zufall ist es zu verdanken, dass es bislang keinen Unfall mit Verletzten gegeben hat.

Der Betriebsratschef der S-Bahn, Heiner Wegner, erklärt, dass er bereits vor einem Jahr die Konzern-Vorstandsmitglieder Karl-Friedrich Rausch und Diethelm Sack über die Missstände informierte. Am Sparkurs "mit völlig überzogenen Rendite- und Gewinnerwartungen" habe sich nichts geändert. Im Laufe der Zeit sei das Management "von der vorbeugenden zur zustandsbezogenen Instandhaltung gewechselt". Seit 2004 habe sich die Zahl der Beschäftigten um 1.000 auf jetzt 2.855 verringert.

Sehr kritisch ist auch Hans-Werner Franz, Chef des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg, der den Nahverkehr in der Hauptstadtregion organisiert. "Die S-Bahn ist innerhalb weniger Jahre vom Vorzeigeunternehmen des Berliner Nahverkehrs zu einem Sanierungsfall herabgewirtschaftet worden." Die aktuelle Misere sei ein Steuerungsversagen des Eigentümers Bund und des DB-Konzerns. "Der S-Bahn wurden nicht erfüllbare Renditeziele vorgegeben", so Franz. Die Vorgänge innerhalb der S-Bahn Berlin GmbH müssten umfassend und transparent aufgeklärt werden, personelle Konsequenzen müssten auch bei denjenigen gezogen werden, die für die unredlich hohen Renditevorgaben verantwortlich seien.

Unabhängig von den Sicherheitsproblemen hat auch die Qualität des S-Bahn-Verkehrs unter den DB-Sparvorgaben gelitten. Das belegen neue Zahlen des Verkehrsverbundes. Waren 2003 noch mehr als 97 Prozent aller S-Bahn-Züge pünktlich, fiel dieser Wert seitdem kontinuierlich. 2008 waren es nur noch knapp 93 Prozent der Züge.

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