Bertelsmann im Niedergang: Der müde Riese aus Gütersloh

Am Mittwoch hält Bertelsmannchef Thomas Rabe seine erste große Strategierede. Doch der Lack ist ab beim ehemaligen Medienweltmarktführer.

Über ihnen nur der Himmel – noch: Die Gütersloher Bertelsmannzentrale. Bild: dapd

Zwei Weltkonzerne stammen aus Gütersloh: Der eine ist Miele und hat jene Maschinen im Angebot, die der Menschheit durch die Abnahme so lästiger Verrichtungen wie Wäschewaschen oder Geschirrspülen viel Lebenszeit schenken. Der andere ist Bertelsmann – und trachtet mit seinem medialen Angebot danach, möglichst viel von der freien Zeit abzubekommen.

„Jeder Mensch in Deutschland hat mindestens einmal am Tag mit Bertelsmann zu tun“, verkündete früher markig die Konzern-PR. Denn zu Bertelsmann gehören eben nicht nur die RTL-Sendergruppe, die Zeitschriften und Zeitungen von Gruner + Jahr und die Bücher des Verlagsmolochs Random House. Mit der Logistik- und Dienstleistungstochter Avarto verschickt Bertelsmann Mobiltelefone und WLAN-Router, managt Bezahlsysteme und Callcenter.

In den letzten Jahren tat sich dann aber nicht mehr so schrecklich viel in Gütersloh. Bertelsmann schrumpfte zwar nicht, konnte aber mit der internationalen Konkurrenz nicht länger mithalten. Die Position als größtes Medienhaus der Welt aus den 1990er-Jahren ist längst futsch, nur Nummer eins in Europa ist man bis heute noch. Und war zuletzt vor allem mit Sparen beschäftigt.

Unter dem neuen Vorstandschef Thomas Rabe, der seit Januar den Laden führt, soll nun alles anders werden. Rabe (43) hält heute beim alljährlichen Management-Meeting des Konzerns seine erste große Strategierede. Zeit, mal etwas genauer auf den Laden und seine größten Baustellen zu schauen.

Die Klanmutter und ihr Sohn

Es war fast ein bisschen wie bei der Rückkehr des verlorenen Sohnes: Christoph Mohn (47) wird ab Januar 2013 Aufsichtsratschef von Bertelsmann. Zwischenzeitlich schien er dagegen schon abgemeldet zu sein, schließlich hatte er als Chef des Bertelsmann-eigenen Onlineportals Lycos Europe nach anfänglichen Höhenflügen eine fulminante Pleite hingelegt.

Dynastischer Habitus: Mutter und Sohn Mohn beim Tanz. Bild: dpa

Nun rückt der Sohn von Reinhard (gestorben 2009) und Konzernmatriarchin Liz Mohn (71) an die Spitze des einen obersten Konzerngremiums – bei dem anderen ist er da schon: Christoph Mohn hat den Platz seines Vaters im Kuratorium der Bertelsmann-Stiftung übernommen, die formal die Mehrheit am Konzern hält, aber wie dieser de facto von der Familie Mohn kontrolliert wird. Die Debatte über die Stiftung wegen ihres so großen wie geschickt geleugneten gesellschaftspolitischen Einflusses in Deutschland ist verstummt. Dafür warten auf den Konzern umso stärker die Herausforderungen der digitalen Welt.

Ob es der Sohn schafft, hier die nicht immer unter einen Hut passenden Interessen von Familie – sprich vor allem: Mutter Liz – und Unternehmen auszubalancieren, wird hier und da in Gütersloh bezweifelt. Zumindest für die nächsten vier Jahre – so lange ist Liz noch Sprecherin der Familie Mohn in allen Bertelsmann-Angelegenheiten – läuft es auf Konflikt hinaus. Immerhin soll Mohn junior gute Drähte zu Konzernchef Rabe haben.

Die Inzuchtschleuder

Auch Gruner + Jahr (G+J) hat sich in den letzten Jahren eher mal um sich selbst gedreht. Aus der Magazinschleuder (Stern, Brigitte, Geo, Essen & Trinken) kam kaum Neues: Neon, das erfolgreiche Blatt für nachtblaue Nutellakinder, hat man von der Süddeutschen Zeitung geerbt; die etwas andere Fußballzeitung 11 Freunde war auch keine In-House-Entwicklung.

Stattdessen betrieb G+J vor allem fröhliche Inzucht, was im Verlagsdenglisch „Brand Extension“ heißt. Seitdem gibt es GEOmini für die lieben Ganzkleinen, während GEOlino „meinungsführende Schulkinder“ zwischen 8 und 14 Jahren erreicht. Es gibt einen Gesundheits-Stern (Gesund Leben) und eine Ausstülpung der G+J-Wirtschaftsmedien namens Business Punk, in der es „um Typen geht, die im Unternehmen was unternehmen“.

Gewappnet fürs digitale Haifischbecken? – Julia Jäkel. Bild: dpa

Zu denen gehört ab sofort ganz oben auch Julia Jäkel (40). Denn Bertelsmann hat den bisherigen G+J-Chef Bernd Buchholz unsanft entsorgt, jetzt soll Jäkel am Hamburger Baumwall nachholen, was Buchholz veschlafen hat: den zahmen Printriesen erfolgreich ins digitale Haifischbecken zu überführen.

Dass Bertelsmann nebenbei noch versucht, die Familie Jahr, die als J in G+J noch 25 Prozent der Anteile hält, herauszukaufen, sorgt für noch mehr Stimmung. Denn wenn Bertelsmann allein das Sagen am Baumwall habe, könnte es für Verlustbringer wie die Financial Times Deutschland ganz schnell ganz eng werden.

Der Noch-Marktführer

RTL ist Marktführer im deutschen Privatfernsehen. Doch RTL hat ein Problem: Das Wörtchen „noch“. Zwar haben die Sender (RTL, RTL 2, Vox, Super RTL, n-tv) ihr bestes Halbjahresergebnis seit langem vorgelegt. Doch vor allem Hauptkanal RTL zehrt vom Bestand: Die meisten „neuen“ Programmideen sind ein halbes Jahrzehnt alt – oder älter.

Noch funktionieren „Deutschland sucht den Superstar“ oder „Wer wird Millionär?“, sind aber längst nicht mehr auf der Höhe früherer Quotenerfolge. „Seinen“ Jauch teilt sich RTL mittlerweile mit der ARD. Und als Verstärkung für Dieter Bohlen bei einem der vielen Castingshow-Ableger holte man – das „Supertalent“ Thomas Gottschalk.

Setzt vor allem auf Bewährtes: RTL-Chefin Anke Schäferkordt. Bild: dpa

Das DJV-Blatt Journalist lästert über den „Rheinischen Patienten“, dem man anmerke, dass er von einer Frau geführt wird, die früher bei Bertelsmann im Controlling war. Und die vor allem mit ihrem nächsten Geburtstag aus der RTL-Zielgruppe fällt. Anke Schäferkordt (49) tut sich schwer mit Programminnovation, obwohl sie als Programmchefin von Vox einst gezeigt hat, dass sie durchaus auch auf Risiko spielen kann. Bislang geht RTL aber auf Nummer sicher – und erinnert damit frappierend an den Reklamespruch „Nur Miele, Miele sagte Tante, die alle Waschmaschinen kannte“ des anderen Gütersloher Konzerns.

Aktuell freut sich RTL also lieber, dass auch die nächste Staffel „Undercover Boss“ beim Publikum ankommt: In der Dokusoap geht ein Topmanager im eigenen Betrieb nochmal „ganz unten“ in die Lehre. Lief vor zehn Jahren schon in England und hatte auch in Deutschland schon ein paar Vor-Nachahmer. Könnte sich Anke Schäferkordt aber trotzdem mal selbst antun.

Der neue Transformator

Thomas Rabe ist ehrgeizig, daraus macht er gar keinen Hehl. Die Zahlen bei Bertelsmann kennt keiner so gut wie er, bevor Rabe zum Vorstandschef gekürt wurde, war er seit 2006 Finanzchef in Gütersloh.

Transformator mit staatsmännischer Pose: Thomas Rabe. Bild: dpa

Heute steht er auf der Bühne – nicht in Berlin, wo Bertelsmann in den vergangenen Jahren seine Topmanager aus aller Welt zu versammeln pflegte. Sondern im Theater zu Gütersloh. Gesprochen wird dabei auch in Ostwestfalen Englisch, weswegen laut Frankfurter Allgemeiner Sonntagszeitung „Core. Growth. Tranformation. Platform“ über Rabes Strategierede steht.

Wachstum hatte auch sein Vorgänger Hartmut Ostrowski versprochen, es dann aber nicht ganz geschafft. Den Bertelsmännern und -frauen wird vor allem „Transformation“ zu schaffen machen. Wobei Rabes Strategie laut Insider-Einschätzung gar nicht so aufregend ist: Der Konzernchef hat die früher als AG geführte Firma Bertelsmann in eine besondere gesellschaftsrechtliche Form gebracht, die die Aufnahme weiterer Investoren und die Annahme ihres Geldes erleichtert – ohne dass die Familie Mohn von ihrem mit Argusaugen behüteten Einfluss abgeben müsste. Mit der frischen Kohle kann Rabe dann zu- oder alte Mitstreiter wie Familie Jahr herauskaufen – so wächst zumindest mal der Umsatz.

„Transformation“ kriegen wir später. Und die Plattform bleibt in Gütersloh. Das dortige Theater wurde übrigens mit freundlichen Zuschüssen zweier ortsansässiger Familienunternehmen gebaut. Ihre Namen: Miele - und Bertelsmann.

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