Beschulung in Flüchtlingslagern: Rassistische Bildungspolitik

Flüchtlingskinder in Lagern zu unterrichten statt an Regelschulen, ist kein Sachzwang, sondern diskriminierend. Den Schaden trägt die gesamte Gesellschaft.

Schülerinnen der Klassenstufe 1-3 der Berliner Hunsrück-Grundschule lösen mit Hilfe ihrer Lehrerin im Mathematik-Unterricht am Tablet eine Rechenaufgabe.

Gemeinsam lernt es sich besser – und Vorurteile werden auch noch abgebaut Foto: Soeren Stache/dpa

Es ist eine Krux mit dieser Realpolitik. Da haben Po­li­ti­ke­r*in­nen hehre Ziele, die Einhaltung der Menschenrechte etwa oder den Kampf gegen Diskriminierung. Aber dann kommt die Realität dazwischen – und was soll man dagegen schon tun?

Nun ja, man könnte versuchen, die Realität zu verändern, statt Missstände einfach zu akzeptieren und damit zu verfestigen oder gar zu verschlimmern. Wie beim jüngsten Streit zwischen Berlins Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) und Integrationssenatorin Cansel Kiziltepe (SPD): Die Geflüchtetenzahlen in Berlin gehen wieder hoch und da in regulären Schulen kein Platz ist, müssten die Flüchtlingskinder eben in Lagerschulen unterrichtet werden, findet die Christdemokratin Günther-Wünsch. Die Sozialdemokratin Kiziltepe ist dagegen und warnt, dass Isolation der Integration nicht unbedingt zuträglich ist.

Das Ende vom Lied ist leider – wie schon bei der diskriminierenden Bezahlkarte für Asylsuchende –, dass Kiziltepe einknickt. Schließlich ist da diese verflixte Realität und deswegen werden an fünf der geplanten 16 neuen Containerdörfer für Geflüchtete die Unterrichtsräume doch gleich mitkonzipiert. „Sich den Realitäten stellen“, nennt das der Regierende Bürgermeister Kai Wegner, ebenfalls CDU. Man könnte es auch Realitäten schaffen nennen.

Denn abgesehen von der Frage, wozu es eine Integrationssenatorin braucht, die zwar im richtigen Moment den Finger hebt, wenn die Integration gefährdet wird, letzten Endes aber doch immer nachgibt und damit den Weg frei macht für diskriminierende Vorhaben, könnte man sich fragen, ob diese Realität, der sich Po­li­ti­ke­r*in­nen so gern beugen, nicht auch veränderbar ist. Dies nicht sogar das Wesen von Politik ist. Und die bloße Verwaltung des Status Quo nicht der Tod jeglichen Fortschritts ist.

Menschenfeindliche Logik

Zugegeben, das sind rein rhetorische Fragen, denn die Antwort darauf ist ganz klar: Ja. Dazu braucht man nicht Politikwissenschaft studiert haben, das erkennt schon der gesunde Menschenverstand. Und damit ist der Grund dafür, dass geflüchtete Kinder nicht gemeinsam mit deutschen Kindern in einer Schule unterrichtet werden, kein Sachzwang, sondern gewünschtes Ergebnis rassistischer Bildungspolitik, die vor allem einem Ziel dient: Die herrschende Ordnung und das ihr innewohnende Klassenverhältnis aufrechtzuerhalten.

Das beschränkt sich natürlich keineswegs auf die Bildungspolitik. Auch in der Wohnungspolitik wird mit den gleichen Realitätszwängen argumentiert: Es gibt nun mal nicht genügend Sozialwohnungen, deswegen können Flüchtlinge eben auch keine bekommen und müssen weiter in den Lagern leben, obwohl sie eigentlich einen Anspruch auf eine eigene Wohnung haben.

Die Logik dahinter ist menschenfeindlich und antidemokratisch: Es wird davon ausgegangen, dass Ber­li­ne­r*in­nen mehr Rechte haben als geflüchtete Menschen. Erst, wenn alle armen Deutschen mit Wohnraum versorgt sind, sind die Geflüchteten dran. Erst, wenn alle deutschen Kinder einen Schulplatz haben, dürfen geflüchtete Kinder eine reguläre Schule besuchen.

Falls das jetzt nicht allen klar ist: Laut Grundgesetz, also der Grundlage unserer demokratischen Gesellschaft, haben alle Menschen die gleichen Rechte – unabhängig von ihrer Herkunft. Das gilt für das Recht auf Wohnen ebenso wie für das Recht auf Schule. Es sollte nicht zu viel verlangt sein, dass sich gewählte Senator*in­nen an die Verfassung halten und nicht noch Diskriminierung im Alltag implementieren.

Nur zusammen sind wir stark

Denn es ginge auch anders. Zugegeben, der Schulplatzmangel ist ein Problem. Eines, das dringend behoben werden muss, denn die Bildung der Kinder ist unsere Zukunft. Möglichkeiten dazu gibt es: Attraktivere Arbeitsbedingungen für Leh­re­r*in­nen und Erzieher*innen, einfachere Anerkennung ausländischer Schulabschlüsse, mehr Lehramtsstudienplätze, die Reaktivierung leerstehender (Schul-)Gebäude und vieles mehr. Das kostet jedoch Geld und ist längst nicht so günstig und einfach zu haben, wie marginalisierte Gesellschaftsgruppen einfach wegzusperren.

Würde man nun alle ankommenden geflüchteten Kinder in die ohnehin schon überfüllten Klassen der Regelschulen stecken, würde sich das Problem zweifelsohne verschärfen. Gleiches gilt für den Wohnungsmarkt. So sehr, dass auch der Protest gegen die unhaltbaren Zustände lauter wird und die Verantwortlichen reagieren müssen und grundlegend etwas an der Situation verändern.

Das tun sie aber nur, wenn ein Großteil der Gesellschaft – sprich, der Wäh­le­r*in­nen – betroffen sind. So lange es nur marginalisierte Gruppen sind, die keine Stimme haben, bleibt alles wie es ist – zum Nachteil der großen Mehrheit der Berliner*innen. Es gilt die alte Weisheit: Nur zusammen sind wir stark.

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Leiterin taz Berlin und Redakteurin für soziale Bewegungen, Migration und soziale Gerechtigkeit. Schreibt in ihrer Kolumne "Pöbelmanie" über Klassenkampf aus der Perspektive eines Kindes der Arbeiter*innenklasse. Hat politische Theorie studiert, ist aber mehr an der Praxis interessiert.

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