Bildung in Frankreich: Den Start vermasselt

Mit einer Lüge bringt die neue Bildungsministerin Amélie Oudéa-Castéra das Lehrpersonal an staatlichen Schulen gegen sich auf. Jetzt drohen Streiks.

Amelie Oudéa-Castéra mit Mikrofon

Dreist gelogen: Frankreichs Bildungsministerin Amelie Oudéa-Castéra Foto: REUTERS/Sarah Meyssonnier

PARIS taz | In der unter der Regie von Staatspräsident Emmanuel Macron neugebildeten Regierung stach neben der Kulturministerin Rachida Dati ein anderer Name einer bisherigen Ministerin hervor, die zuvor nicht vielen bekannt war: Amélie Oudéa-Castéra war in der früheren Regierung bereits Sport- und Jugendministerin und damit maßgeblich an der Vorbereitung der diesjährigen Olympischen Sommerspiele beteiligt.

Dass sie nun zusätzlich auch die Verantwortung für das Bildungs- und Erziehungswesen übernehmen soll, wundert manche, die wissen, welch gigantische Aufgabe das ist. Beim Erziehungspersonal der „Education nationale“ kam diese Nominierung sehr schlecht an: Ist das nicht ein Zeichen der Geringschätzung, wenn eine Ministerin sich quasi im Nebenjob um das staatliche Schulsystem kümmern soll?

Eine Enthüllung des Online-Magazins Mediapart hat der Ministerin jetzt aber den Start erheblich erschwert: Oudéa-Castéra habe ihre eigenen Kinder nicht in staatlich-öffentliche Schulen geschickt, wie sich das eigentlich für eine Repräsentantin der laizistischen Republik gehört, sondern in eine katholische Privatschule.

Und nicht in irgendeine, sondern in die Eliteschule Stanislas im vornehmen 6. Bezirk von Paris. Die Schule war in einem Inspektionsbericht wegen Homophobie, Propaganda gegen Abtreibung, Verhütung und anderer reaktionärer Beeinflussung kritisiert worden, kommt aber weiterhin in den Genuss staatlicher Finanzierung sowie auch öffentlicher Subventionen.

Eine Lüge

Zu ihrer Rechtfertigung erklärte Oudéa-Castéra, sie habe damals ihren Ältesten nicht in der staatlichen Schule gelassen, weil dort ständig Stunden ausgefallen und mangels Personal nicht ersetzt worden seien. Das klang plausibel, war aber, wie die Zeitung Libération sofort eruieren konnte, eine Lüge.

Die zu Unrecht der Absenz beschuldigte Lehrerin konnte bestätigen, dass sie kein einziges Mal gefehlt hatte und dass die Eltern Oudéa-Castéra aus anderen Gründen für ihre drei Kinder den privaten katholischen Unterricht in der Stanislas-Schule (Vorschule bis zum Abitur) vorgezogen hätten.

Daraufhin protestierte Oudéa-Castéra beleidigt, sie werde in ihrer Privatsphäre attackiert, doch nun wolle sie das Thema in der Öffentlichkeit beenden. So einfach aber ist das nicht. Denn ohne dies zu wollen, hat ausgerechnet sie als neue Erziehungsministerin den seit Jahrzehnten schwelenden und regelmäßig zu hitzigen Konflikten entflammenden Schulkrieg zwischen den laizistischen Anhängern der öffentlichen Schule der Republik und den Verteidigern der religiösen Privatschulen neu entfacht.

Denn Mediapart veröffentlichte als Replik den fraglichen Untersuchungsbericht, der zeigt, wie locker es die Direktion der Stanislas-Schule mit den staatlichen Auflagen nahm und wie sehr die (grundsätzlich fakultative, de facto aber obligatorische) religiöse Erziehung, ja ideologische Beeinflussung durch zum Teil sehr reaktionäre Erziehende im Vordergrund steht.

Kur als Heilmittel

Noch im vergangenen Mai hatte – unter anderem – ein Religionslehrer in der Mittelstufe des Collège den Jugendlichen beigebracht, Homosexualität sei eine „Krankheit“, von der man mit einer religiösen Kur in Kanada geheilt werden könne. Sie komme daher, dass die Mama den Papa während der Schwangerschaft betrogen habe.

Oudéa-Castéra behauptet, sie habe diesen Bericht nicht erhalten, wollte diese Vorwürfe jedoch dementieren. Zu spät versuchte sie sich aus der Affäre zu ziehen, indem sie sich bei der von ihr anfänglich verunglimpften staatlichen Schule und Lehrerin vor Kameras entschuldigen wollte. Sie wurde dort von wütenden Eltern und Leh­re­r*in­nen mit Pfiffen empfangen.

Die Sache wurde immer peinlicher. Sie stellt ein Problem für das neue Kabinett dar, von dem sich Präsident Emmanuel Macron neuen Schwung und nicht zusätzliche Schwierigkeiten erwartet. Dennoch stellte er sich jetzt hinter die Ministerin. Offenbar kann oder will er auf ihre olympische Mitarbeit nicht verzichten. Da er mit seiner neuen Regierung der konservativen Rechten versucht zu schmeicheln, sieht er keinen Grund, mit einem Rüffel für Oudéa-Castéra die Anhänger der Privatschule zu verärgern.

Die Gewerkschaften der Leh­re­r*in­nen haben dagegen für Ende des Monats und Anfang Februar zu Streiks und Demonstrationen aufgerufen. Denn der Mangel an Personal und Krediten ist ein reales Problem der öffentlichen Schulen, wenn auch weniger in den Nobelvierteln von Paris. Doch die Kinder deswegen in Privatschulen zu schicken, in denen vorwiegend der privilegierte Nachwuchs der Familien mit hohem Einkommen und Bildungsniveau unterrichtet und zu einer zukünftigen Elite ausgebildet wird, ist ihrer Ansicht nach keine Lösung in einer Republik. Deren Devise lautet: „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ und ist über allen Schultoren zu lesen.

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