Bildung: Loblied aufs frühe Gymnasium

Bildungsforscher der Humboldt-Uni hält die sechsjährige Grundschule für gescheitert. Experten widersprechen. Schulverwaltung will die langjährige Untersuchung noch nicht veröffentlichen.

Er wollte offenbar nicht länger auf die Veröffentlichung seiner brisanten Grundschulstudie durch die Schulverwaltung warten. Also prescht Bildungsforscher Rainer Lehmann von der Humboldt-Universität vor und präsentiert Details der "Element"-Studie in einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit, das heute erscheint.

SchülerInnen, die nach der vierten Klasse ans Gymnasium wechseln, so Lehmann, würden besser gefördert als diejenigen, die in der fünften und sechsten Klasse der Grundschulen bleiben. "Bei gleicher Ausgangslage lernen Schüler an Gymnasien weitaus mehr als an Grundschulen." Vom Lernklima an den sogenannten grundständigen Gymnasien profitierten selbst Lernschwächere. Und auch wenn man sich Schüler mit vergleichbarem sozialem Hintergrund anschaue, hätten die Gymnasiasten am Ende der sechsten Klasse zwei Jahre Lernvorsprung. "Die Kluft, die sich auftut, ist enorm", sagt Lehmann.

Die "Element"-Studie war 2003 bei Lehmann in Auftrag gegeben worden. Jeweils nach der vierten, fünften und sechsten Klasse prüfte er das Verständnis in Lesen und Mathematik. Neben einer Stichprobe von 3.000 GrundschülerInnen wurden 1.700 SchülerInnen gestellt, die nach der vierten Klasse aufs Gymnasium wechselten.

Die Aussagen Lehmanns in der Öffentlichkeit seien durch die Studie nicht gedeckt, kritisiert Hans Anand Pant, Leiter des Instituts für Schulqualität für Berlin und Brandenburg. Er kennt die Studie und geht davon aus, "dass es Darstellungen geben wird, die zeigen, dass Lehmanns Aussagen über die Grundschule nicht haltbar sind".

Auch Peter Heyer, Chef des Grundschulverbands, kritisiert Lehmann. "Das ist Stimmungsmache", sagte Heyer der taz. "Wenn Schulen sich die besten aussuchen dürfen und die anderen den Rest nehmen müssen, ist es kein Wunder, dass sie besser abschneiden", so Heyer.

Ein Argument, das Lehmann nicht gelten lässt. In Berlin gingen im Schnitt nur ein bis zwei SchülerInnen pro Klasse vorzeitig aufs Gymnasium. "Von einer intellektuellen Verarmung der Grundschule kann man also schwerlich sprechen."

Die Opposition im Abgeordnetenhaus wirft der Senatsverwaltung vor, eine unbequeme Studie zurückzuhalten. "Die Fakten müssen auf den Tisch", sagt Sascha Steuer, bildungspolitischer Sprecher der CDU. Das Haus von Schulsenator Jürgen Zöllner (SPD) weist die Vorwürfe zurück. Die Studie sei erst am Freitag eingetroffen. "Etwas, das Jahre gebraucht hat, ehe es fertig wurde, muss man zunächst auswerten", sagte ein Sprecher. Gleichzeitig ist man in der Senatsverwaltung für Bildung ziemlich genervt, dass jemand, "der die Studie als Autor bestens kennt, nun Politik damit macht", sagte ein hoher Beamter der taz. "Da werden Sachen sehr einseitig in die Welt gesetzt."

Ignorieren lassen dürften sich die Ergebnisse allerdings nicht. Schließlich ist Lehmann ein renommierter Bildungsforscher. In Hamburg hatte er die viel beachtete Langzeitstudie "Lau" zu verantworten, für die neun Jahre lang alle SchülerInnen eines Jahrgangs untersucht wurden.

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