Bildungsstand in Deutschland: Zwischen hochgebildet und ungelernt

Der neue Bericht „Bildung in Deutschland“ zeigt: Die Bildungsexpansion setzt sich fort. Teile der Bevölkerung sind ausgeschlossen.

Bundesbildungsministerin Johanna Wanka und KMK-Präsidentin Claudia Bogedan stellen den Bildungsbericht 2016 vor

Helle und dunkle Töne bei der Vorstellung des Bildungsberichts 2016 durch Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) und KMK-Präsidentin Claudia Bogedan (SPD) Foto: dpa

BERLIN taz | Die Deutschen werden immer gebildeter. Der Anteil der Menschen mit Schul- und Berufsabschlüssen, mit Abitur oder Studium ist in der jüngeren Generation deutlich gewachsen. So haben knapp 45 Prozent der unter 35-Jährigen die Fach- oder Hochschulreife, ein doppelt so hoher Anteil wie in der Elterngeneration der über 60-jährigen. Das ist die gute Nachricht des aktuellen Berichts „Bildung in Deutschland 2016“, den die Kultusministerkonferenz und das Bundesbildungsministerium am Donnerstag vorstellten.

Die schlechte: Ein Teil der Bevölkerung ist von der Bildungsexpansion faktisch abgekoppelt. So hat jeder sechste Bundesbürger keinen beruflichen Abschluss, unter den Menschen mit Migrationshintergrund ist es sogar fast jeder dritte.

Das Wissenschaftlerkollektiv, welches die Daten alle zwei Jahre zusammenträgt, empfiehlt daher den Politikern, die die Datensammlung als Grundlage ihrer Bildungspolitik begreifen, den Blick verstärkt auf jene gering oder nicht Qualifizierten zu richten.

Es ist die sechste Gesamtschau des deutschen Bildungssystems in zehn Jahren. Und wie schon beim ersten Bericht im Jahr 2006 liegt der Fokus auch in diesem Jahr erneut auf den Menschen mit Migrationshintergrund.

Mehr Migranten an der Uni, aber viel mehr Biodeutsche

Ein Fünftel der Bevölkerung mit und ohne deutschen Pass hat einen Migrationshintergrund, bei den unter 10-Jährigen liegt der Anteil sogar bei einem Drittel. Tatsächlich gelang es in den letzten Jahren immer mehr Menschen mit ausländischem Pass zumindest einen mittleren Schulabschluss zu erreichen. Mehr als die Hälfte (56 Prozent) der Schulabgänger mit ausländischer Staatsangehörigkeit erreichte 2014 einen mittleren Abschluss ­ das sind 20 Prozentpunkte mehr als vor zehn Jahren.

Auch unter den HochschulabsolventInnen stieg der Anteil der ausländischen Jugendlichen – allerdings langsamer als jener mit deutschem Pass. Der Sprecher des Autorenkollektivs, Kai Maaz vom DIPF, warnte vor diesem Hintergrund vor übertriebenen Erwartungen: „Jemanden vom mittleren auf den hohen Leistungsstand zu heben, ist eine viel größere Herausforderung, als jemanden vom unteren auf einen mittleren Leistungsstand zu bringen.“

Aktuell kommen noch jene Menschen hinzu, die in Deutschland Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen. Über die Hälfte derjenigen, die 2015 in Deutschland Asyl beantragten, ist jünger als 25 Jahre. „Die Integration der Zugewanderten ist zuerst eine Aufgabe des Bildungssystems“, meint Maaz.

Bis zu 44.000 Pädagogen zusätzlich nötig

Die Wissenschaftler haben errechnet, dass allein für die im Jahr 2015 Eingewanderten bis zu 44.000 zusätzliche ErzieherInnen, SozialpädagogInnen und LehrInnen von der Kita bis zur Berufsbildung nötig sind. Kosten: bis zu drei Milliarden Euro pro Jahr. Für die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMM) Claudia Bogedan, SPD-Senatorin in Bremen, korrespondiert diese Summe mit den Schätzungen der KMK von rund 2,3 Milliarden Euro. Allein werden die Länder das Geld freilich nicht aufbringen können. „Bildung und Integration sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben“, bietet Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) die Unterstützung des Bundes an.

Sowohl Wanka als auch Bogedan sehen Fortschritte auf dem Weg zu einem chancengerechten Bildungssystem, was sich neben der wachsenden Bildungsbeteiligung von MigrantInnen auch in der steigenden Nutzung von Ganztagsschulen niederschlägt. Dennoch konstatiert der Bildungsbericht einen ungebrochen engen Zusammenhang zwischen der sozialen Situation, in die ein Mensch hineingeboren wird, und dem Bildungserfolg, den er oder sie erreicht.

Segregation beginnt in der Kita

Soziale Disparitäten beginnen bereits im Kindergarten. Obwohl immer mehr Kinder eine Kita besuchen – unter den 3- bis 6-Jährigen sind es 95 Prozent – zeigen Sprachstandserhebungen, dass insbesondere Kinder aus Familien mit niedrigem Schulabschluss sowie aus Familien, in denen am Küchentisch nicht Deutsch gesprochen wird, bei der Einschulung Sprachförderbedarf haben. Besorgniserregend ist in diesem Zusammenhang ein Schlaglicht aus dem Jahr 2015: über ein Drittel der Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache besucht eine Kita, in der die Mehrheit der Spielkameraden ebenfalls von Haus aus nicht Deutsch spricht.

Solche Segregationstendenzen setzen sich im Schulsystem fort. Kinder, deren Eltern einst einwanderten, sowie jene, deren Eltern wenig Bildung genossen, sind überproportional häufig an Haupt- und Förderschulen zu finden, was sich wiederum auf die beruflichen Chancen auswirkt: „Personen ohne Schulabschluss sind beim Zugang zur beruflichen Bildung faktisch chancenlos, der Hauptschulabschluss bietet nur Zugang zu einem sehr eingeschränkten Segment von Berufen“, sagt Maaz und wirft die Frage auf, inwiefern der Hauptschulabschluss im Zuge der Bildungsexpansion eine tendentielle Entwertung erfährt.

Eine Frage, die Martin Baethge vom Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen recht pragmatisch beantwortet: „Man muss das Qualifikationsniveau im unteren Bereich anheben, wobei der mittlere Schulabschluss die neue Basis sein könnte.“ Im Klartext: der Hauptschulabschluss hat ausgedient.

Nord-Süd-Gefälle in der Ausbildung

Neben herkunftsbedingten kristallisieren sich immer stärker auch regionale Unterschiede heraus. So sehen die Wissenschaftler ein Nord-Süd-Gefälle in der Bildung. Im Norden sind die Arbeitsmarktaussichten tendenziell schlechter und auch der Zugang in eine Ausbildung ist schwieriger. In einigen Regionen Schleswig-Holsteins, Niedersachsens, Hessens oder Nordrhein-Westfalens haben sich sogenannte prekäre Ausbildungsmärkte entwickelt, wo es trotz allgemeinen Geburtenrückgangs und des von der Wirtschaft beschworenen Fachkräftemangels deutlich mehr Bewerber als Ausbildungsplätze gibt.

Der Bildungsbericht offenbar noch eine weitere strukturelle Veränderung im Schulwesen. So stieg der Anteil von Schulen mit freier Trägerschaft auf elf Prozent. Gerade in dünn besiedelten Regionen ersetzten die freien Schulen oft öffentliche Schulen, die wegen des Schülerrückgangs geschlossen wurden. „Das ist nicht nur ein Ergänzungsangebot, sondern in manchen Regionen ganz klar eine Basisversorgung“, bilanzierte Maaz.

Auch der bayrische Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) bestätigte diese Untersuchungen mit Blick auf die ländlichen Regionen in seinem Bundesland. „Für besondere Angebote – gerade bei Förderschulen – sind kirchliche Träger fast flächendeckend tätig.“ Er verteidigte diesen Prozess jedoch: „Das Recht Privatschulen zu unterhalten, ist im Grundgesetz verankert.“

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