Bodo Ramelow über die Meck-Pomm-Wahl: „Flüchtlinge sind nicht das Problem“

Bodo Ramelow, der linke Ministerpräsident in Thüringen, über die Strategie der AfD, Strategien gegen die AfD und Wege, Ausgegrenzte zu erreichen.

Menschen stehen und sitzen am Strand

Nicht den „braunen Seelenfängern“ überlassen: Strand in Mecklenburg-Vorpommern Foto: dpa

taz: Herr Ramelow, Sie schreiben, das Wahlergebnis habe Sie nicht überrascht. Woraus schlossen Sie, dass Ihre Partei in Mecklenburg-Vorpommern derartig einbrechen würde?

Bodo Ramelow: Es ist ja nicht nur meine Partei eingebrochen, alle parlamentarisch-demokratischen Parteien haben Verluste eingefahren, die eigentliche Wahlsiegerin ist die AfD. Das hat mich nicht überrascht. Ich hätte eher gedacht, dass die AfD sogar noch stärker wird.

Und die AfD ist aus dem Stand zweitstärkste Partei geworden. Sie haben es vorausgesehen?

Die AfD ist ein gesamtdeutsches Phänomen, mit dem wir uns auseinanderzusetzen haben, im Grunde genommen ist sie sogar ein gesamteuropäisches Phänomen. Weil es eine Verunsicherung gibt, die nicht genau fassbar ist. Das ist auch ein psychologischer Effekt. Nehmen wir das Thema Flüchtlinge. Alle reden davon, die Wahl in Mecklenburg-Vorpommern sei eine Klatsche für die Kanzlerin, wegen ihrer Flüchtlingspolitik. Doch wo bitte in Mecklenburg-Vorpommern sind Flüchtlinge?

Wir reden also über Phänomene, die im Alltag kaum vorkommen. Dennoch ist die AfD mit diesem Thema höchst erfolgreich und Ihre Parteien kommt ebenso wenig wie die anderen dagegen an. Wieso finden sie kein Rezept?

Wir sind mit einem neoliberalen Umbauprozess unserer Gesellschaften in Europa konfrontiert, der einerseits dafür sorgt, dass der Reichtum immer mehr ansteigt und sich in den Händen weniger konzentriert, während andererseits eine breitere Schicht zunehmend verarmt. Das ist ein schleichender Prozess. Die vielen Flüchtlinge, die im letzten Jahr zu uns kamen, mögen der berühmte Tropfen gewesen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt. Aber sie sind nicht das Problem. Das Wohlstandsmodell der Bundesrepublik Deutschland hat keinen Glanz mehr. Die Menschen sagen nicht mehr mir geht es zwar im Moment nicht so gut, aber perspektivisch wird es mir besser gehen. Ohne diese im zweiten Teil des Satzes zum Ausdruck kommende Zuversicht, wird es für die Gesellschaft gefährlich. Und das bildet die AfD ab.

Der 60-Jährige ist seit Dezember 2014 der erste Ministerpräsident der Linkspartei in einem deutschen Bundesland, in Thüringen.

Aber warum gelingt es der Linken nicht mehr, diese verunsicherten Menschen abzuholen? Altersarmut, Niedriglöhne, das sind doch genau ihre Themen.

Ich frage zurück, warum sich diese Frage nur an die Linke richtet. Das scheint mir eine Frage zu sein, die alle Parteien beantworten müssen.

Ich frage Sie als Vertreter der Linken.

Ich äußere mich hier nicht als Vertreter meiner Partei, ich bin Ministerpräsident von Thüringen. Und aus dieser Perspektive bin ich alarmiert. Alle Parteien sind hier gefragt. Das Ergebnis der AfD ist besorgniserregend weil mit ihrer Nein-Sager-Strategie parlamentarisch-demokratische Lösungen immer mehr verbaut werden. Ich habe die Befürchtung, dass am Ende eine Diktatur stehen könnte. Ich denke wir müssen über den gesellschaftlichen Zusammenhang reden.

Das tut doch gerade die Linke, mit Verlaub, die ganze Zeit.

Da reicht es nicht, auf Plakaten die Altersarmut nur zu bebildern. Das nehmen unsere Wähler seit 10 Jahren wahr, dass wir gegen Hartz IV sind. Aber wer gezwungen ist, seine Kinder mit Hartz IV großzuziehen, kann mit unserem Plakat nichts mehr anfangen.

Wirkt die Linke in ihrer Ansprache zu gestrig?

Das meine ich nicht. Wir brauchen einen Aufbruch in der Gesellschaft, für einen starken Sozialstaat, in dem sich Ausgegrenzte, Langzeitarbeitslose, Menschen mit Handicaps, Menschen, die unter prekären Bedingungen arbeiten, sich endlich wieder eingeladen fühlen. Wir tun uns in einem der reichsten Länder der Welt nichts Gutes, wenn wir immer nur partielle Angebote machen, anstatt zu sagen, Armut ist das übergreifende Thema mit dem wir uns auseinandersetzen müssen.

Fähnchen auf einer Karte

Deutschland, rechts oben: Wahlergebnisse auf der Ferieninsel Usedom Foto: taz

Was heißt das konkret für die Parteien, unter anderem für die Linke?

Wir brauchen einen schärferen gesellschaftspolitischen Diskurs in diesem Land. Die CDU sollte sich wieder auf ihr konservatives Klientel konzentrieren und das auch wieder einbinden wollen. Und umgekehrt muss es einen linksliberalen Block geben, bei dem die Linke sich aufmachen sollte, nicht immer nur über andere Parteien zu reden, sondern auch ein Angebot zu unterbreiten, das Menschen das Gefühl gibt, hier tut sich was, bei Bildung etwa. Ich würde gern wissen, wie sehen das die Grünen, wie die Sozialdemokraten. Wären wir in der Lage, das Trennende nebeneinander liegen zu lassen, aber das Gemeinsame tatsächlich in eine rot-rot-grüne Waagschale zu werfen.

Sie plädieren für Rot-Rot in Mecklenburg-Vorpommern…

Ja, ich würde viel lieber für Rot-Rot-Grün plädieren. Ich finde es bitter, dass die Grünen nicht reingekommen sind.

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Ist es nicht dennoch gewagt, nach so einer Wahlniederlage, eine Regierungsbeteiligung der Linken zu fordern?

Die Verluste hat auch die SPD. Und dennoch bin ich der Meinung, dass die Linke Regierungsverantwortung anstreben sollte. Die Logik der Großen Koalition muss durchbrochen werden. Denn eine Große Koalition so lange zu machen, bis die Großen nicht mehr groß sind, ist kein guter Weg. Österreich lässt grüßen. Am Ende profitieren immer die braunen Seelenfänger.

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