Boris Johnsons langer Rücktritt: Nach ihm ein Trümmerfeld

Der Abgang des britischen Premierministers kommt spät. In seinen drei Jahren Amtszeit hat er viel Schaden angerichtet, auch abseits des Brexit.

Boris Johnson verlässt winkend das Gebäude Downing Street

Boris Johnson am Mittwoch vor seinem Amtssitz in der Londoner Downing Street Foto: John Sibley/reuters

Am Ende war kaum noch jemand übrig, um die zurückgetretenen Regierungsmitglieder zu ersetzen. Mehr als 50 von ihnen sprangen von Bord, binnen drei Tagen kamen und gingen drei Bildungsminister, der Schatzkanzler hielt es gerade mal zwei Tage aus. Ein Ex-Minister sagte nach dem Rücktritt des britischen Premierministers Boris Johnson gehässig, man habe „das fette Schweinchen endlich aufgespießt“. Aber: Man hat dafür viel zu lange gebraucht. Dieselben Regierungsmitglieder, die plötzlich ihre „Würde“ und „Integrität“ entdeckten, haben noch bis vor Kurzem Johnson verteidigt.

In Wahrheit geht es den „sinkenden Schiffen, die die Ratte verlassen“, wie es Labour-Chef Keir Starmer ausdrückte, um ihre Pfründe. Sie sind aufgeschreckt: Vielen von ihnen hätte bei den nächsten Wahlen der Verlust ihres lukrativen Abgeordnetensitzes gedroht, wäre Johnson im Amt geblieben. Der warf seinen abtrünnigen Parteikollegen eine „Herdenmentalität“ vor: Sie ignorierten das überwältigende Mandat, das er 2019 mit dem höchsten Stimmanteil seit 45 Jahren eingefahren hatte. Grund dafür war der Brexit. Den hatte Johnson nur aus Opportunismus propagiert. Zunächst hatte er sich dagegen ausgesprochen, aber rechtzeitig erkannt, dass es seinen Ambitionen förderlich sein würde, sich an die Spitze der „Leave“-Kampagne zu drängen.

Das funktionierte zwar, doch nach seiner Wahl zum Premier stellte sich heraus, dass er kaum andere politische Visionen hatte. Sein Ex-Berater Dominic Cummings bezeichnete ihn als „außer Kontrolle geratenen Einkaufswagen“, der bei vielen Themen, nicht zuletzt bei der Corona-Politik, ständig seine Meinung änderte.

Johnson hinterlässt einen Trümmerhaufen. Seine Regierung hat die Menschenrechte durch ein neues Gesetz verwässert, das es erlaubt, Flüchtlinge nach Ruanda auszulagern. Sie will die Unabhängigkeit der Wahlrechtskommission abschaffen und neue Hürden für Wäh­le­r:in­nen aufbauen, die bis zu zwei Millionen vom Wahlrecht ausschließen würden, – was vor allem junge und ärmere Leute beträfe. Diese schäbigen Projekte werden Johnson überdauern.

Selbst sein Paradeprojekt, der Brexit, ist noch nicht in trockenen Tüchern. Auch bei diesem Thema hat Johnson einen Eiertanz vollführt und seine ehemaligen Verbündeten, die nordirischen Unionisten, im Regen stehen lassen, um seine Haut zu retten. In seiner Rücktrittsrede schwor Johnson, seine Nachfolgerin oder seinen Nachfolger so gut wie möglich zu unterstützen. In Anbetracht seiner bisherigen Loyalität kommt das einer Drohung gleich.

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Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

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