Brandanschlag in Oldenburg: „Das ist leider jüdische Realität“

Auf Angriffe wie der jüngste seien sie vorbereitet gewesen, sagt die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Oldenburg. Die Solidarität mache ihr Mut.

Ein sakrales Gebäude

Blick auf die Oldenburger Synagoge nach dem Brandanschlag Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

taz: Was war Ihr erster Gedanke, als Sie vom Anschlag auf die Synagoge in Ihrer Gemeinde gehört haben, Frau Schaub-Moore?

Claire Schaub-Moore: Ich habe nur gedacht: Wie müssen wir jetzt vorgehen? Mir ging es darum, die Sicherheit für die Mit­ar­bei­te­r:in­nen im Haus sicherzustellen.

Hat Sie der Angriff unvorbereitet getroffen?

Nein, wir bereiten uns ja schon lange auf einen potenziellen Anschlag vor, und als ich von den Hausmeistern hörte, dass wir gerade einen erlebt haben, dachte ich: Jetzt ist der Punkt gekommen, wo das, was wir bislang immer trainiert haben, zum Einsatz kommen muss. Das ist leider jüdische Realität.

Seit wann haben Sie ein Sicherheitstraining?

Unsere Sicherheitsvorkehrungen verschärft und ein Sicherheitsteam ausgebildet haben wir nach dem 7. Oktober. Davor hatten wir zwar auch Sicherheitsmaßnahmen, aber bei weitem nicht so professionell begleitet.

62, ist seit 2023 Vorsitzende der ­Jüdischen Gemeinde zu Oldenburg.

Wer unterstützt Sie dabei?

Das tun speziell ausgebildete Menschen beim Zentralrat der Juden. Wir versuchen intern, ein Bewusstsein zu schaffen für Bedrohungslagen und wie wir am besten damit umgehen: Das ist so, wie große Firmen Mit­ar­bei­te­r:in­nen darauf vorbereiten, wie sie damit umgehen, wenn Feuer ausbricht. Vor allen Dingen ist uns die Zusammenarbeit mit der Polizei sehr wichtig. Die informiert uns, wenn es Andeutungen gibt, dass wir bedroht sind. Das gab es in diesem Fall nicht. Wobei die Bedrohungslage seit dem 7. Oktober für Jüdinnen und Juden weltweit erhöht ist.

Was bedeutet das für Ihr Sicherheitsgefühl?

Wir können uns nicht rund um die Uhr absichern und versuchen, jede Lücke zu schließen. Es ist am hellichten Tag passiert. Ich denke, wir hatten Glück im Unglück: Wir hatten zwei sehr aufmerksame, beherzte Mitarbeiter von der Stadt, die die Flamme an unserer Tür gesehen haben. Der Molotowcocktail muss kurz davor geworfen worden sein. Sie haben sofort eingegriffen – so ist es nicht zu einem weitaus größeren Schaden gekommen oder gar Menschen zu Schaden gekommen. Aber natürlich ist unser Gebetshaus angegriffen worden und die Implikation ist, dass jüdisches Leben gefährdet ist.

Der Angriff passierte am Freitagmittag. Am Abend begann der Sabbat. Wie haben Sie den noch gefeiert?

Mir war es als erste Vorsitzende sehr, sehr wichtig, Ruhe und Normalität, soweit es ging, wieder herzustellen. Mir war es wichtig, dass die Gemeinde nicht das Gefühl bekommt, dass der Ort, wo wir gemeinsam den Sabbat begehen, ein unsicherer geworden ist – also nicht unsicherer, als er sowie in der Fantasie schon immer war. Die Polizei meinte, sie könnte das Gebäude freigeben und das haben wir auch genutzt.

Wie würden Sie die Gemeinde beschreiben?

Bunt gemischt. Familien mit Kindern, ältere Menschen. Wir sind eine liberale Gemeinde mit einer Rabbinerin und einem Rabbiner. Es gibt 340 aktive Mitglieder:innen; wir sind die drittgrößte Gemeinde in Niedersachsen.

Das Bündnis gegen Antisemitismus und Antizionismus Oldenburg schreibt, es habe in den letzten Monaten viele antisemitische Vorfälle in Oldenburg gegeben. Wie ist Ihre Wahrnehmung?

Es gab und gibt immer wieder antisemitische Vorfälle, aber ich weiß nicht, ob man von einer Häufung sprechen kann. Deswegen, glaube ich, waren auch viele in der Stadt überrascht: Wie kann so etwas in unserem beschaulichen Oldenburg passieren?

Wie gehen Sie jetzt durch die Stadt?

Wie immer. Wie gesagt, ich glaube, dass Juden und Jüdinnen immer etwas aufmerksamer durch die Stadt gehen. Wir haben sehr viel Zuspruch erfahren, sehr viele Solidaritätsbekundungen, nicht nur die üblichen Floskeln. Das gibt auch ein Gefühl der Stärke. Ich glaube, wir können tatsächlich mutig durch die Stadt gehen und müssen uns nicht verstecken, auch nicht unsere Symbole.

Man könnte sagen: 500 Teil­neh­me­r:in­nen bei der Solidaritätskundgebung sind nicht überwältigend viele.

Es kommt auf die Perspektive an. Ich finde es wichtig, nicht immer zu erwarten, sondern dankbar zu sein für das, was ist. Wir hatten seit dem 7. Oktober immer wieder Demonstrationen, entweder pro Israel oder propalästinensische Demonstrationen, und es war immer wieder erstaunlich, wie wenig Menschen an den proisraelischen Demonstrationen teilgenommen haben. Und dafür war jetzt diese Solidaritätsbekundung – und gezählt wurden fast 1.000 Teil­neh­me­r:in­nen – überwältigend. Und das waren nicht nur Oldenburger und Oldenburgerinnen, aus ganz Niedersachsen sind Menschen angereist, um ihre Solidarität zu zeigen, weil der Anschlag jetzt doch näher an den eigenen Lebenswelten passiert ist.

Welche Konsequenzen zieht die Gemeinde jetzt?

Wir werden weitermachen wie bisher. Wir haben sowieso schon eine sehr enge Zusammenarbeit mit Polizei und Staatsschutz. Wir haben aber auch ein großes Interesse daran, dass die Menschen in unserer Gemeinde sichtbar bleiben, und wir werden weiterhin das tun, was wir immer getan haben: unsere religiösen und kulturellen Kooperationen pflegen.

Es klingt so, als wären Sie auf eine sehr mutmachende Art nicht bereit, etwas Grundlegendes zu ändern.

Wir gucken nach vorne. Wir wollen das, was uns im Grunde alle wünschen: dass jüdisches Leben in Deutschland normal ist und dass wir nicht immer nur erwähnt werden, wenn es Anschläge gibt.

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