Bremens Frauenbeauftragte über ihr neues Amt: „Fortschritt ist eine Schnecke“

Bremens künftige Landesfrauenbeauftragte Bettina Wilhelm über Feminismus, den Genderbegriff und Bremer Besonderheiten

Übernimmt ab November das Amt der Landesfrauenbeauftragten in Bremen: Bettina Wilhelm Foto: Franziska Kraufmann/dpa

taz: Frau Wilhelm, was reizt Sie am Amt der Bremer Landesfrauenbeauftragten?

Bettina Wilhelm: Zunächst, dass es ein Amt mit viel Gestaltungsspielraum ist – ein politisches, aber zugleich auch parteiunabhängiges Amt. Wichtig ist mir auch, dass es eine fachpolitische Arbeit ist.

Größere Gestaltungsspielräume als in Bremen gibt es für Frauenbeauftragte selten …

Bremen hat da gleichstellungspolitisch ein echtes Vorzeigemodell. Und die bisherige Amtsinhaberin Ulrike Hauffe ist bekannt im gesamten Bundesgebiet. Es ist reizvoll, eine Stelle anzutreten, die so eine hohe Priorität und Wahrnehmbarkeit bereits hat.

Für welche Akzente wollen Sie den Gestaltungsspielraum denn nutzen?

Die wichtigste Aufgabe ist natürlich eine aktive Lobbyarbeit. Ich möchte eine Fürsprecherin sein für die Frauen in Bremen, und ich möchte den Frauen eine gewichtige Stimme geben in allen Politikbereichen.

Das klingt noch nicht sehr spezifisch.

52, ist ab November Bremer Frauenbeauftragte. Zuletzt war die Erziehungs- und Sozialwissenschaftlerin Bürgermeisterin von Schwäbisch Hall.

Das ist der Rahmen. Es gibt aber auch klare inhaltliche Themen und Bremer Besonderheiten, die ich in den Blick nehmen werde: Dazu gehört das Thema Gewalt. Das ist sicher ein Dauerbrenner. Mit diesem Thema habe ich immer wieder beruflich zu tun gehabt, ich habe dazu geforscht, da bringe ich viele fundierte Kenntnisse mit.

Das passt, weil es laut Gleichstellungsatlas eines der drängendsten frauenpolitischen Probleme in Bremen ist.

Ein weiteres Dauerbrennerthema ist die Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und auch da gibt es Besonderheiten, die mit der sozialen Lage des Bundeslandes zu tun haben: Dass die Entgelt-Ansprüche von Müttern in Bremen bundesweit am geringsten sind, ist ein Problem. Und es hat damit zu tun, dass die Quote derer, die vor der Mutterschaft berufstätig waren, hier so gering ist. Daran schließt sich nahtlos die Frage nach der Lage der Alleinerziehenden an.

Ist das auch eine Bremer Besonderheit?

Bremen ist da bundesweit mit 27,7 Prozent eine Hochburg. Und dabei fällt auf, dass es eine sinkende Erwerbsbeteiligung gibt: Das ist eine sehr bemerkenswerte Tendenz, in deren Folge steigt auch die Hilfequote. Auffällig ist auch, dass viele Alleinerziehenden keine abgeschlossene Berufsausbildung haben.

Bedeutet Frauenpolitik im 21. Jahrhundert nicht vor allem auch eine Bestandssicherung?

Nein. Das wäre eine rückwärtsgewandte Politik, mit der wir keine Erfolge erzielen. Es geht um Fortschritt. Am Grad der Gleichstellung kann man die Fortschrittlichkeit einer Gesellschaft messen. Leider geht es dabei nicht nur voran …

Daher doch die Frage nach der Bestandssicherung: Wir erleben gerade ein Role Back, erstmals seit den 1990er-Jahren ist der neue Bundestag männlicher als sein Vorgänger.

Wir sind auf den Stand von 1998 zurückgefallen, genau. Und das liegt an den Parteien, die neu im Parlament sind, die FDP mit rund 22 Prozent, die AfD mit 10,6 Prozent Frauenanteil. Das ist ein Rückschlag. Das bedeutet, wir können nicht davon ausgehen, dass die moderne, tolerante Gesellschaft sich immer durchsetzt. Aber gerade deshalb dürfen wir uns nicht damit begnügen, nur das Erreichte zu verteidigen.

Wäre dann also ein Parité-Gesetz voranzutreiben?

Grundsätzlich bin ich für Quote, auch in der Arbeitswelt.

Ein Parité-Gesetz würde aber doch erst mal nur eine geschlechtergerechte politische Repräsentanz sicherstellen?

Ja, aber ich bin sicher, das würde Politik auch inhaltlich verändern. Und es gibt noch andere Zusammenhänge. Mit einem Parité-Gesetz steigt generell die Akzeptanz von Quoten, und das ist nötig. Wenn man sich in Deutschland die börsennotierten Unternehmen anschaut, sieht man, dass sich bei 70 Prozent der Unternehmen, die ihre Quote selbst bestimmen können, die alten Kräfte durchsetzen. Sprich: Die bleiben bei null Prozent Frauenanteil. Daran sieht man: Es fehlt am Willen, und es fehlt am Bewusstsein. Dabei täte es den Unternehmen gut, auch Frauen in Führungspositionen zu bringen.

Gleichzeitig verstärken Quoten und Gesetze die binäre Geschlechterkonstruktion, die akademisch informierte Genderdiskurse überwinden wollen.

Das ist ein total spannender Punkt. Den müssen wir auch diskutieren. Ich sehe da durchaus ein Dilemma: Denn die Binarität steht der Ausdifferenzierung der Geschlechter entgegen. Wenn man allerdings politisch erfolgreich sein möchte, wenn man Maßnahmen, die Wirkung zeitigen, durchsetzen will, braucht es eine Zuspitzung.

Das heißt, der akademische Diskurs ist interessant, aber nur was für Liebhaber?

Nein, er ist absolut wichtig, um reale Diversität sichtbar zu machen und der Diskriminierung sexueller Identitäten und Orientierungen vorzubeugen. Aber wenn politische Kommunikation erfolgreich sein will, muss sie auch für Menschen verständlich sein, die keine GenderexpertInnen sind. Im politischen Diskurs Geschlechterbinarität ganz aufzulösen, halte ich für gefährlich: Wenn wir eine Statistik führen, brauchen wir das Mann/Frau-Verhältnis, um aufzuzeigen, wo Ungerechtigkeiten im System, in den Strukturen sitzen. Klar kann man Statistiken ausdifferenzieren, aber dann steigt Max Mustermann beim Lesen aus.

Brauchen wir also einen Feminismus der zwei Geschwindigkeiten?

Wünschen würde ich mir zwar einen Hochgeschwindigkeitsfeminismus, aber wie heißt es so treffend: Fortschritt ist eine Schnecke. Wahr ist allerdings, dass der Feminismus derzeit einen Hype erlebt und dabei auch Gefahr läuft, zu verwässern.

Inwiefern?

Das Beispiel, das mir einfällt, ist eine Modenschau, bei der Karl Lagerfeld die Präsentation seiner Chanel-Kollektion als feministische Demonstration inszeniert hatte. Mit Frauen, die Sprüche auf T-Shirts hatten und Plakate hochhielten mit politischen Botschaften. Das ist zweischneidig, denn es ist zwar gut, dass Feminismus angesagt ist, aber er darf auch nicht hohl werden und bei der Inszenierung stehen bleiben. Der Gefahr müssen wir entgegentreten. Und da helfen natürlich Zahlen, Statistiken – harte, faktische Argumente.

Aber der akademischere Feminismus ist derzeit am ehesten bewegungs-fähig: Eine feministische Demo ohne ihn zu organisieren, würde schwierig.

Auf jeden Fall. Ich möchte den komplexen Genderbegriff nicht wegdiskutieren oder leugnen. Er ist aber nicht geeignet, um das Thema Armut zu diskutieren.

Für welchen Feminismus plädieren Sie?

Für mich ist Feminismus eine soziale Bewegung und eine Haltung, die sowohl Frauen, Männer als auch Transgenderpersonen haben können. Feminismus setzt sich für die Selbstbestimmung und gegen Sexismus ein.

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