Bremerhavener Polarforscher: Klimaparadox geknackt

Das Bremerhavener AWI kann mit komplexen Modellrechnungen erklären, was Bohrkerne bestätigen: Warum ein wachsender Eispanzer für wärmeres Wasser sorgt.

Erbe des Miozäns: Das Filchner-Schelfeis. Bild: Timmermann/AWI

BREMEN taz | Während die aktuelle Forschung über die Erderwärmungsszenarien der kommenden 100 Jahre spekuliert, haben WissenschaftlerInnen des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven scheinbar widersprüchliche Klimavorgänge in einem Zeitraum von 100.000 Jahren entschlüsselt: Sie haben das so genannte Klimaparadox des Miozän geknackt.

Inmitten des Miozäns, vor rund 14 Millionen Jahren, wuchs der antarktische Eispanzer zu seiner heutigen Größe. Trotzdem wurde es nicht überall auf der Welt kälter, sondern regional auch wärmer. Die Oberflächentemperatur etwa des Südozeans stieg in dieser Zeit um etwa drei Grad an.

Auf diese gegenläufigen Entwicklungen konnten sich die Klimaforscher lange Zeit keinen Reim machen. Im Weddellmeer, an dessen Kante das AWI seine auf Stelzen stehende Polarforschungs-Station Neumayer III unterhält, sei die Oberflächentemperatur sogar um bis zu sechs Grad angestiegen, sagt Gregor Knorr vom AWI, der seine Ergebnisse nun in Nature Geosciences veröffentlichte. Über der Landmasse, auf der jener Eispanzer wuchs, sank die Temperatur im selben Zeitraum um 22 Grad.

Zusammen mit seinem Kollegen Gerrit Lohmann simulierte Knorr die Klimaveränderungen in einem gekoppelten Atmosphäre-Ozean-Modell. Entgegen früheren Annahmen zeigte sich dabei, dass die vermehrte Rückstrahlung der Sonnenenergie ins Weltall durch den wachsenden Eispanzer keine ablandigen Winde zur Folge hatte, die über das Meer fegten und Meereis entstehen ließen.

Im Gegenteil: Stattdessen löste das Eisschild-Wachstum derart komplexe Wind- und Strömungsveränderungen aus, dass warmes Wasser in Richtung der Pole floss. Dadurch kam es auch in der Tiefe des Meeres zu Prozessen, deren Ausmaß die Wissenschaftler überraschte. „Diese Modellrechnungen haben uns geholfen, ein völlig neues Verständnis für die damaligen Erdsystemprozesse zu entwickeln“, sagt Knorr – zumal mit ihnen nun die klimageschichtlichen Befunde erklärt werden können, die durch die Sedimentablagerungen in Bohrkernen bekannt waren.

Allerdings wird auch umgekehrt ein Schuh draus: Wie Klima, gerade in seinen regionalen Differenzierungen, entsteht, ist schwieriger zu erklären, als bislang angenommen – was umso mehr für die Berechenbarkeit der Folgen menschlicher Einflussnahmen gilt. „Die Rückkoppelungs-Mechanismen zwischen den einzelnen Klimafaktoren sind noch wesentlich komplexer, als wir bisher angenommen hatten“, bestätigt Lohmann.

Das Wachsen des antarktischen Eispanzers nahm einen Zeitraum von rund 100.000 Jahren in Anspruch, was angesichts der 15 Millionen Jahre umfassenden Dauer allein des Miozäns lediglich einem erdgeschichtlichen Wimpernschlag entspricht. 100 Jahre sind in solchen Zeitdimensionen kaum darstellbar. Und dennoch ist es nach Angaben des Weltklimarates ein noch viel kürzerer Zeitraum, in dem sich entscheiden wird, ob die Erderwärmung auf zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter begrenzt werden kann: die kommenden 15 Jahre.

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