„Briefe an die Eltern“ von Jörg Fauser: Rebellentum und Über-Ich

Jörg Fauser wollte sich nie an bürgerliche Spielregeln halten. Seine „Briefe an die Eltern“ dokumentieren die Genese eines Underground-Helden.

Jörg Fauser mit seinem Vater

Jörg Fauser mit seinem Vater Foto: Archiv Jörg Fauser

Eine heile Kindheitswelt. „Pappi“ ist der Held, dem der naseweise Jörg gefallen will und nach dem Mund redet. Aber bereits mit 14 beginnt die Rebellion im Coca-Cola-Hinterland, die sich nicht zuletzt an der Anzahl der Ausrufungszeichen bemisst.

Man kann den Kontext nur erahnen. Offenbar hat der auf Bildungsreise weilende, Karten schreibende Arthur Fauser seinen Sohn ein bisschen geneckt und ihm eine Karriere als Politiker prophezeit. Der jedenfalls antwortet mit einem bissigen Postskriptum: „Ob ich ein guter Politiker werde, wird die Zukunft und werde ich entscheiden!!!!!!!!!!!!!!!!! und niemals Du!!!!!!!!!!!!!“

Hier geht es los. Ein paar Jahre später flüchtet Jörg Fauser nach London, treibt sich in anarchistischen Kreisen herum und schwängert seine Freundin Stella. „Ich bin hier zum ersten Mal in meinem Leben glücklich, auch ohne viel Geld, ohne warmes Essen oder sonstigen Luxus“, schreibt er den Eltern am 13. Juli 1963. „Ich werde auf keinen Fall (dazu könnt ihr mich nicht zwingen!) weiter in die Schule gehen. Ich möchte, so wie hier, viel schreiben können; und, solange ich mich davon nicht ernähren kann (ich habe wirklich nicht viel nötig; das sehe ich, sehr befriedigt, hier), werde ich arbeiten, es gibt genug.“

Ein letztes Mal setzen sich die Eltern durch. Jörg macht sein Abitur und beginnt sogar ein Studium, bricht es aber nach ein paar Semestern wieder ab, um endlich Ernst zu machen mit der Literatur. Sein Vater schäumt. Er hat seine Gründe. Arthur Fauser ist bildender Künstler und gibt als Ernährer der Familie eine eher schlechte Figur ab.

Jörg Fauser: „Man hängt halt so an dem, was man hat“. Briefe an die Eltern. Hg. und mit einem Vorwort von Peter Graf. Nachwort von Ronja von Rönne. Diogenes, Zürich 2023. 621 Seiten, 25 Euro

Seine Frau Maria Razum arbeitet recht erfolgreich für Funk und Fernsehen, sie bezahlt die Rechnungen. Das kränkt den Alten, er will dem Sohn die eigenen Minderwertigkeitskomplexe ersparen, versucht ihn von einem Brotjob an der Universität oder im Literaturbetrieb zu überzeugen. Aber der winkt ab.

Uni ist Zeitverschwendung

„Ich halte mich weder für ein Genie noch sonst irgendwas, aber ich kenne mich gut genug um zu wissen daß ich keinen Akademiker, auch keinen geheuchelten, keinen Lektor etc. abgebe. Ich werde nicht auf die Universität zurückkehren, weil ich mich schlichtweg dort langweile u. weil es Zeitverschwendung ist“, schreibt er am 6. November 1965.

Wieder ist er in London bei seiner Freundin Stella. Er brauche kein solches Sicherungsnetz und wolle es auch nicht. „Irgendwie kommen mir alle diese Leute sehr lächerlich vor, die mit Märtyrermiene ihr fettes Lektorengehalt beziehen und dabei unentwegt behaupten, sie tätens nur um nicht zu verhungern. Schließlich gibt es ja immer noch ehrlichere Arten, das bißchen Geld, was man wirklich braucht, zu verdienen.“

Hier zeigt sich schon früh Fausers Idiosynkrasie gegenüber den Literaturbeamten, die sich bereitwillig an die Spielregeln halten, den Schreibtischhelden, die viel gelesen haben, aber nichts erlebt. Seine Abneigung beruht dann auch auf Gegenseitigkeit, wie er bald feststellen muss.

Jörg Fauser mit seiner Mutter

Jörg Fauser mit seiner Mutter Foto: Jörg Fauser Archiv

Vorerst schlägt er einen anderen Weg ein. Er leistet Zivildienst in einem katholischen Krankenhaus, 1964 eine absolute Ausnahme, und bedient sich regelmäßig am Medikamentenschrank bei den Opiaten. Er wird süchtig und flieht nach Istanbul, wo alles nur schlimmer wird. „Ich konnte nicht schreiben, und hier sitze ich und platze und dreh mich im Kreis und fluche und spucke und krepiere an mir selbst und kriege kein Wort heraus. Ich weiß, daß ich endlich etwas schreiben muß, und schaffe es nicht“, klagt er am 26. Januar 1967.

Entzug und Neuanfang

Schließlich kommt er zurück, macht einen Entzug und fängt noch einmal neu an. Jetzt hat er einen Stoff, der im gerade sich formierenden literarischen Underground für Interesse sorgt, und er findet in William S. Burroughs’ Cut-up-Arbeiten Anregungen, wie der sich literarisch bewältigen lässt.

Dass damit im bürgerlichen Kulturbetrieb nichts zu holen ist, merkt Fauser allzu bald. Sein erster längerer Prosatext, „Tophane“, handelt ihm Absagebriefe ein, die ihn verletzen und sein Ressentiment gegenüber dem bürgerlichen Mainstream noch verschärfen.

Jörg Fausers bereits in den frühen Neunzigern erschienene und nun wiederaufgelegte „Briefe an die Eltern“ geben detailliert Aufschluss über seine intellektuellen Häutungen, weil der Gesprächsfaden selbst in den schwierigsten Lebensphasen nicht ganz abreißt, nicht mal während seines Absturzes in die Drogensucht. Die beiden bleiben trotz aller Kontroversen Fausers Vertraute. Leider fehlen – erneut – die Eltern-Briefe, und man hätte schon gern einen editorischen Hinweis über ihren Verbleib gehabt. Andererseits lassen die Echos in Fausers Antworten schon erahnen, was in ihnen gestanden haben mag.

Bloß nicht normal sein

Wiederholt sieht sich Fauser denn auch zu ausführlichen programmatischen Rechtfertigungsschreiben genötigt. „Mir ist vollkommen klar, daß ich weder für normale Mittelklasse-Horizonte noch für etwelche literarischen Kliquen noch überhaupt für irgendwelche Gruppen, Vereine, Normal- oder auch Nicht-Normal-Verbraucher akzeptabel bin, sondern ein Parasit, Asozialer, Deserteur, Rauschgifthändler und Zuhälter, Faschist oder Bolschewist, kurz immer das sein werde, was den Leuten nicht paßt“, schreibt er am 4. Februar 1970.

„Ein paar Leute, auf deren Meinung ich mehr gebe als auf die irgendwelcher,gemachter' Literaten, erkennen in dem, was ich schreibe, sich oder ihre Welt oder ihre Halb-Welt oder was immer, wieder, ermutigen mich, so weiterzumachen; das genügt mir.“

Er meint natürlich die Cut-up-Szene, also Autoren wie Jürgen Ploog, Udo Breger, Carl Weissner und Burroughs selbst, und weiß, „irgendwann werde ich gedruckt und gelesen. Wie ich durchkomme, ist meine Sache, solange ich anderen nicht allzu sehr auf den Wecker falle oder auf der Tasche liege.“

Darum geht es immer wieder in seinen Briefen. Wie lässt sich die Subsistenz erwirtschaften, ohne zur rückgratlosen Betriebsnudel zu werden. Fausers Ausweg ist schließlich der Journalismus. Hier findet er bald regelmäßig Abnehmer für seine Texte. Mit Reportagen vom kulturellen Rand, angefangen bei seiner ersten großen Story für das Szenemagazin Twen über „Junk – die harten Drogen“ und engagierten Plädoyers für eine andere Weltliteratur, nämlich die von Chandler, Kerouac, Bukowski und Fallada, stößt er offenbar in eine Lücke.

Erfahrungen aus zweiter Hand

Er schätzt seine Chancen von Anfang an ziemlich gut ein. Er werde irgendwann reüssieren, und zwar „nicht, weil einem das gefällt, was und wie ich was schreibe, sondern weil ein gewisses Publikum Leute braucht, die Erfahrungen machen und sie hinterher denen, die nach Erfahrungen aus zweiter Hand dürsten, weil sie kraft eigener Leere nicht dazu fähig sind, verkaufen“. Und als er unter dem Einfluss von Bukowski, den amerikanischen Hard-boiled-Autoren und der eigenen journalistischen Arbeit umschwenkt auf einen knochentrockenen Milieurealismus, findet seine Literatur tatsächlich auch außerhalb der Gegenkultur Beachtung.

Fauser hat seine beiden Professionen einander angenähert, die Literatur journalistischer und den Journalismus literarischer gemacht. Irgendwann war es ihm fast egal, was er unter der Feder hatte. „Manchmal gelingt es mir, etwas Brauchbares zu schreiben, manchmal nicht. Ich sehe allerdings prinzipiell keinen Unterschied zwischen einem guten Gedicht und einem guten Artikel – obschon ich weiß, daß das Gedicht in irgendeiner Endabrechnung mehr zählt. Aber warum? Es gibt bestimmt mehr gute Artikel gleich welchen Inhalts in der Welt als gute Gedichte“, schreibt er am 23. November 1977.

„Natürlich ist diese Art Kulturvermittlung etwas strapaziös und mir fallen auch schon büschelweis die Haare aus (im Ernst): aber einmal halte ich sie letzten Endes für relativ wichtig, und 2. kommt erst das Fressen und dann der Lorbeerkranz, wenn überhaupt.“

Hochachtung für den Vater

Am Ende hatte Arthur Fauser als väterliches Über-Ich dann eben doch enormen Einfluss auf seinen Sohn, und der hätte das auch nie in Abrede gestellt. Dankbarkeit, Wertschätzung und Liebe stehen hier nicht nur zwischen den Zeilen.

Das ist anrührend zu lesen, wie der junge Autor allen Widerständen und Meinungsverschiedenheiten zum Trotz immer wieder seine Zuneigung gegenüber den Eltern zum Ausdruck bringt. Dazu gehört auch seine Hochachtung für das Werk des Vaters, dessen Arbeitsethos und Haltung.

Weiter entfernt hatte sich Fauser nie wieder von ihm als Mitte der sechziger Jahre, und dennoch gelingt es ihm, von seinem Ärger abzusehen. „Gerade weil ich kein Maler geworden bin, wird mir jedes Wort, das ich schreibe, gewichtiger; und das Maß, mit dem Du gemessen hast, und die Beharrlichkeit, mit der Du an Deiner Kunst festgehalten und sie entwickelt hast, werden mir Vorbild sein und sind es schon bei meiner Arbeit … auch wenn Du es jetzt noch in dem, was ich schreibe, nicht erkennst.“ Auch das zeigt Fausers Größe.

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