taz.gespräch in Stuttgart, 09.03.2016: Kampf gegen die grüne CDU

Vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg wurde noch einmal Stellung bezogen. Dominierendes Thema: Die Flüchtlingsfrage.

Brummbrumm: Stefanie Brum (SPD) brummt mit ihrem Wahlkampfauto herum – ohne Feinstaubplakette. Bild: Elena Wolf

Die Wahlkampfmaschine in Baden-Württemberg bollert auf Hochtouren. Am 13.03.2016 zeigt sich, wessen Mühen sich gelohnt haben. Am 09.03.2016 begrüßten taz-Redakteurin Nina Apin und Kontext-Chef Josef-Otto Freudenreich Donate Kluxen-Pyta (CDU), Boris Palmer (Grüne), Hannes Rockenbauch (Linke), Judith Skudelny (FDP) und Stefanie Brum (SPD) im Theaterhaus Stuttgart zu einer letzten Standpunktbestimmung im Rahmen eines gemeinsamen Gesprächs von taz und KONTEXT:Wochenzeitung. Vor allem eine Frage stand dabei im Mittelpunkt: „Wie schaffen wir das mit den Flüchtlingen — und wer?“

Wir haben einfach das Problem, dass wir hier mit Kretschmann gegen eine grüne CDU kämpfen

Direkt vor dem Eingang des Theaterhauses auf dem Stuttgarter Pragsattel stand das kleine, dreirädrige Wahlkampf-Autole von Stefanie Brum (SPD) — das „Brum-Mobil“. „Furchtlos und neu“ steht auf seinen Seiten nebst dem Konterfei der Rechtsanwältin für Urheber- und Medienrecht.

Im Gegensatz zu Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer ist Brum pünktlich vorgefahren und sitzt um 20:07 Uhr mit den anderen Gästen mikrofonverkabelt vor rund 250 ZuhörerInnen. „Der muss von Tübingen mit dem Fahrrad herfahren, das dauert“, witzelt ein Mann im Publikum auf die im Raum schwebende Frage: Wo steckt eigentlich der Palmer? Kurz darauf kommt der Sohn des berühmt-berüchtigten „Remstal-Rebells“ Helmut Palmer durch den Eingang gehuscht. Showtime.

In drei Blöcken soll es zunächst um Flüchtlinge gehen. Dann um Moral in der Politik. Dann um die Frage, wie es am Sonntag ausgeht und dann wird es gemütlich — mit Fragen aus dem Publikum. „Wir haben nicht für alle Platz. Offene Grenzen funktionieren nicht. Das überfordert unsere Gesellschaft, unsere Kommunen und Europa“, sagt Boris Palmer gleich zu Beginn und erntet damit die ersten erbosten Zwischenrufe aus dem Publikum. 

Palmer „Ponyhof-Politik“

Palmer war in der Vergangenheit mit ziemlich ungrünen Ansichten zur Flüchtlingspolitik in den Fokus geraten. Plädierte für striktere Zurückweisungen und gegen eine „Ponyhof-Politik“. Steilvorlage für den parteilosen Quereinsteiger Hannes Rockenbauch, der trotzdem für die Linke kandidiert. „In Stuttgart haben wir nur ein Prozent mehr Bevölkerung bekommen und wir kriegen das nicht hin? Da läuft doch was schief!“, empört sich Rockenbauch und ist damit ganz auf Brum-Kurs.

Auch die SPD-Kandidatin kann die Panik vor den Flüchtlingen nicht nachvollziehen und versucht es mit einer klugen Psychoanalyse: „Die zwanzig Prozent, die jetzt vielleicht AfD wählen, machen das nicht wegen den Flüchtlingen, sondern weil sie Angst haben, dass ihnen was weggenommen wird. Die projizieren da was.“

Die Dreiradfahrerin betonte weiter, dass man nach einer erfolgreichen Integration von sieben Millionen Gastarbeitern, jetzt keine Angst vor einer Million Flüchtlingen haben müsse. Das sieht Skudelny (FDP) anders. „Auch wenn es 'nur' ein Prozent mehr Bevölkerung hier ist, kriegt das Rote Kreuz das nicht hin“, sagt die FDP-Generalsekretärin. 

„Mit Kretschmann gegen eine grüne CDU“

Und was sagt die CDU? „Ach, wir haben in Baden-Württemberg einfach das Problem, dass wir hier mit Kretschmann gegen eine grüne CDU kämpfen“, witzelt Kluxen-Pyta und erklärt sich so den Vorsprung der Grünen in aktuellen Umfragen. Als die promovierte Islamwissenschaftlerin mit ihrem Wahlstand im Ländle unterwegs war, sei es sogar schon vorgekommen, dass jemand an den Stand kam und „Vaterlandsverräter“ gebrüllt habe, erzählt Kluxen-Pyta, die an diesem Abend im Gegensatz zu Rockenbauch und Palmer keine Lust auf Selbstverkaufs-Show hat.

Wobei, beim Stichwort „Moral in der Politik“ dreht Kluxen-Pyta nochmal kurz auf. Als Kontext-Moderator Freudenreich sie bittet, „doch jetzt mal was ganz arg Zentrales zum Thema Moral zu sagen“, betont sie, dass es gelte, heimatnahe Lager für Flüchtlinge besser auszustatten. Und: „Wir haben Waffen an die kurdische Peschmerga geliefert um Isis zu bekämpfen. Wir müssen Fluchtursachen bekämpfen“, so Kluxen-Pyta. Auch wenn Rockenbauch das etwas anders sieht, schenkt er der CDU-Frau gentlemanlike Wasser nach, bevor er sich selbst einschenkt. 

Rockenbauch: Waffenexporte sofort stoppen

Der parteilose Linke plädiert für ein sofortiges Stopp aller deutschen Waffenexporte in die Welt. „Das ist doch schizophren!“, poltert Rockenbauch. „Ob eine Welt ohne Waffen von heute auf morgen funktionieren würde...?“, philosophiert Brum (SPD) darauf vor sich hin und wird im moralisch sein nur von Palmer getoppt, der mit einer überraschenden Idee daherkommt: „Ich bin dafür eine Million Flüchtlinge direkt aus Kriegsgebieten zu holen. Per Kontingent. Damit sie nicht den Schleppern überlassen sind“ Als Skudelny (FDP) nochmals betont, dass die deutsche Verwaltung mit der Registrierung „total überfordert sei“ und Brum Sigmar Gabriel mit Peter Gabriel verwechselt, stellte sich Ende die letzte Frage des Abends: Was passiert am Sonntag?

Die Linke zu wählen mache laut Palmer jedenfalls keinen Sinn. „Da sei jede Stimme verloren. So bitter ist die Wahrheit“, tönt der grüne Tübinger Oberbürgermeister selbstgerecht. Wir werden sehen. Stefanie Brum trinkt nach der Diskussion erst mal 'nen Sekt im Foyer und fährt dann mit ihrem Brum-Mobilt heim. „Hat das Ding denn überhaupt 'ne Feinstaubplakette“, fragt Rockenbauch frech am Ausgang. „Äääh, glaub' nicht“, antwortet Brum leicht beschämt. „Ich muss halt jetzt bis Sonntag noch vollends damit rumfahren.“

ELENA WOLF, Redakteurin der KONTEXT:Wochenzeitung