Buch über Finanzmarktregulierung: Jede Kritik ist einzustellen

Drei grüne Finanzexperten stellen ihr Buch „Finanzwende“ vor. Wolfgang Schäuble ist auch dabei und schmettert alle Vorwürfe ab.

Wolfgang Schäuble im Portrait

Schäuble in seiner Lieblingsrolle: der weise und altersmilde Lehrer, der Nachhilfe erteilt Foto: dpa

Schwarz-Grün zieht immer: Es muss Aufmerksamkeit erzeugen, wenn Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bereit ist, in die Heinrich-Böll-Stiftung zu kommen, um ein Buch zu kommentieren, das drei grüne Finanzexperten geschrieben haben. Fürs Marketing war das Arrangement am Montagvormittag also gut – aber es hatte auch seine Tücken, wie die Autoren Sven Giegold, Gerhard Schick und Udo Philipp feststellen mussten.

Denn Schäuble ist Stratege – und nutzte seine Chance, dass er als Gast nicht hart attackiert werden konnte. Gemütlich richtete er sich in seiner Lieblingsrolle ein: Er gab den weisen und altersmilden Lehrer, der dringend benötigte Nachhilfe erteilt. Giegold, Schick und Philipp wurden zu realitätsfernen Spinnern degradiert.

Schäuble war klug genug, die eigentliche Analyse der drei Grünen nicht zu bestreiten, die sie im Buch „Finanzwende. Den nächsten Crash verhindern“ ausbreiten. Freundlich konzidierte er, dies sei „ein wichtiger Beitrag in den Debatten“.

Es herrschte also durchaus Konsens, dass jederzeit eine neue Krise ausbrechen kann. Denn seit dem letzten Crash gab es zwar „unwahrscheinlich viel Regulierung“, wie Schick erläuterte. Doch obwohl sich der Gesetzeswust auf inzwischen 34.019 Seiten summiert, wurden die zentralen Probleme ausgespart.

Alarmierend

So ist das Eigenkapital der Banken immer noch viel zu gering, das als Verlustpuffer dienen könnte, falls es zu einer weiteren Finanzkrise kommt. Bei den Großbanken beträgt dieser Puffer nur ganze drei Prozent der Bilanzsumme. Sollte sich ein neuer Crash ereignen, müssten also wieder die Steuerzahler einspringen.

Genauso alarmierend: Noch immer wird vor allem spekuliert statt investiert, wie die Bilanz der Deutschen Bank zeigt. Nur 26 Prozent der Aktivitäten dienen dem klassischen Kreditgeschäft. Den wichtigsten Bilanzposten bilden die Derivate, mit denen auf Aktien, Zinsen, Währungen und Rohstoffe gewettet wird.

Dabei sind der Fantasie der Banken keine Grenzen gesetzt, wie sich daran zeigt, dass sie permanent neue Produkte erfinden. Schick sitzt seit 2005 im Bundestag: „Als ich mich das erste Mal mit den Banken befasste, gab es etwa 100.000 Zertifikate. Inzwischen sind es mehr als eine Million.“

Da Schäuble diese Zahlen nicht bestreiten konnte, variierte er das beliebte TINA-Prinzip, dass es keine Alternative gäbe. Die Regulierung mag nicht perfekt sein, aber sie sei die bestmögliche. Oder auf Schäuble-Deutsch: „Wir können nicht auf der grünen Wiese ganz neu anfangen.“

Abschweifend

Wahlweise schweifte er dann nach Indien, zu Trump, nach Griechenland, zu den G-20, nach Frankreich oder Brüssel ab, um die politischen Hürden zu erläutern. Nicht jeder dieser Ausflüge hatte mit dem eigentlichen Thema zu tun, wie man die Finanzmärkte besser regulieren könnte. Aber zu diesem Aspekt war aus Schäubles Sicht ja auch schon alles gesagt: Mehr ist nicht möglich.

Dabei sind die Vorschläge der Grünen nicht nur bedenkenswert, sondern werden auch von konservativen Finanzprofessoren wie Martin Hellwig geteilt: Das Eigenkapital der Banken müsste mindestens zehn Prozent betragen, damit sie die nächste Krise ohne Staatshilfe überstehen. Giegold kritisierte, „die Bundesregierung ist im Bremserhäuschen“.

Bei den Großbanken beträgt der Eigenkapitalpuffer nur 3 Prozent der Bilanzsumme. Beim nächsten Crash müssten also wieder die Steuerzahler einspringen

Doch Schäuble winkte nur ab. Beim Thema Eigenkapital habe man sich in Europa darauf verständigt, „dass wir eine signifikante Benachteiligung der europäischen Banken gegenüber den USA nicht akzeptieren können“. Schöner hätten es auch die deutschen Großbanken nicht formulieren können.

Ganz zum Schluss packte Schäuble eine Keule aus, die er bestimmt noch häufiger schwingen wird: Jede Kritik sei einzustellen – weil dies nur der AfD helfen würde. „Der Ruf nach einfachen Regeln ist wishful thinking. Und zu viel wishful thinking ist eine Alimentation von populistischen Demagogen.“

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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