Bürgerbegehren veganes Kantinenessen: Ran an die Buletten?

Tierrechtsaktivisten wollen täglich ein veganes Menü in den Kantinen Friedrichshain-Kreuzbergs. Braucht es das wirklich?

Buletten

Noch Fleisch oder schon vegan? Foto: dpa

Ja:

Wer vor zehn Jahren auf einer Party erzählte, er sei Vegetarier, wurde irritiert gefragt, wie man das Leben ganz ohne Fleisch aushalten könne. Heute kommt meist die Gegenfrage, warum man nicht vegan lebe – das würden inzwischen ja so viele machen.

Tatsächlich ist sowohl das Angebot veganer Lebensmittel als auch die Akzeptanz dieser Lebensweise dramatisch gestiegen – zumindest in den urbanen Gegenden Berlins. Trotzdem ist das Ziel des Bürgerbegehrens in Friedrichshain-Kreuzberg, Kantinen ein zusätzliches völlig tierfreies Essens vorzuschreiben, absolut sinnvoll.

Denn gerade in jenen Etablissements, in denen ein sonores „Mahlzeit!“ oder ein lässiges „Was gibt’s heut, Alter?“ zum kulturellen Konsens gehört, beschränkt sich veganes Essen meist noch immer auf Pommes. Das ist weder gesund noch zeitgemäß.

Das Bürgerbegehren für veganes Kantinenessen in Friedrichshain-Kreuzberg ist wohl erfolgreich. Die etwa 50 Schulmensen und die Rathauskantine sollen täglich ein veganes Menü anbieten – das Veggie-Essen soll das Fleischgericht dabei ausdrücklich nicht ersetzen, sondern ergänzen.

9.500 Unterschriften reichten die Initiatoren am Montag beim Bezirksamt ein. Rund 6.000 gültige Unterschriften sind nötig, damit sich die Bezirksverordnetenversammlung mit dem Bürgerbegehren befasst. Lehnen die Abgeordneten die Forderung ab, kommt es zum Bürgerentscheid. Hier bräuchte es eine einfache Mehrheit bei einer Beteiligung von mindestens 10 Prozent.

Die Tierrechtler hoffen auf eine „konstruktive und einvernehmliche Lösung“ mit dem Bezirk. Strittig sei jedoch das Geld: 300.000 Mehrkosten schätzt das Bezirks­amt, die Initiatoren gehen von wesentlich weniger aus.

Und letztlich ist so ein Zusatzangebot für alle ein Gewinn: Es steigert die Auswahl; fordert die Köche heraus, ein attraktives Gericht zu kreieren, das auch gekauft wird; es schafft letztlich erst die Möglichkeit, dass Menschen mit unterschiedlicher Esskulturen gemeinsam dort dinieren können. Schließlich leistet es einen Beitrag zur Aufklärung über die ökologischen Auswirkungen von nichtveganem Essen, die in der Herstellung oft sehr viel ressourcenintensiver sind.

Wenn das alles so logisch ist, warum braucht es einen Zwang? Das ist wie bei der Frauenquote: Irgendwie finden ja auch alle, dass Frauen nett sind und genauso gut arbeiten wie Männer und nicht benachteiligt werden sollten. Trotzdem … Sie wissen schon! Manchmal braucht der Fortschritt etwas Nachdruck. Bert Schulz

Nein:

Es ist gut, wenn Menschen sich Gedanken darüber machen, wie man die Welt besser machen könnte, und das Thema Ernährung drängt sich da auf: Fleisch essen ist ein brutaler Akt, wenn man weiß, wie die Fleischindustrie den Rohstoff Tier hält.

Die Milchkühe haben es nicht besser. Fleisch essen ist auch schlecht fürs Klima (wobei das Sojaschnitzel auch keine gute Ökobilanz hat). Eine gute Sache also, das Bürgerbegehren für ein tägliches veganes Kantinenessen in Friedrichshain-Kreuzberg?

Nein, ist es nicht. Warum? Weil das Missionarische daran stört. Umso mehr, als dass es so subtil daherkommt. Denn selbstverständlich soll das Fleischessen ja nicht abgeschafft werden – die Gemüseboulette gibt’s als Angebot on top. Nicht so subtil kommt das Bürgerbegehren für die Kantinenköche daher.

Jeden Tag ein veganes Essen kochen, das erstens gut schmeckt und zweitens ernährungstechnisch sinnvoll ist – da muss man schon ungefähr wissen, wie. Bringt das den Caterern jemand bei? Wer schon mal versucht hat, einen veganen Schokoladenkuchen in lecker zu backen, sodass die Kinder ihn auch essen, weiß, das ist nicht so leicht.

Und die Kinder – die Schulmensen betrifft das Bürgerbegehren vor allem – werden das vegane Essen schätzen müssen. Ansonsten produzieren die Caterer das Sojaschnitzel nämlich für die Tonne. Rund 300.000 Euro kostet das vegane Essen den Landeshaushalt pro Jahr. Also uns alle. Am überzeugendsten wirbt eine Idee – in diesem Fall der Veganismus – aber immer dann für sich, wenn sie einem völlig freistellt, ob man sie mittragen will. Nein, keine gute Sache, das Veggie-Bürgerbegehren. Anna Klöpper

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Jahrgang 1974, war bis Juni 2023 Leiter der Berlin-Redaktion der taz. Zuvor war er viele Jahre Chef vom Dienst in dieser Redaktion. Er lebt seit 1998 in Berlin und hat Politikwissenschaft an der Freien Universität studiert.

Seit 2011 bei der taz. Leitet gemeinsam mit Sunny Riedel das Ressort taz.eins. Hier entstehen die ersten fünf Seiten der Tageszeitung, inklusive der Nahaufnahme - der täglichen Reportage-Doppelseite in der taz. Davor Ressortleiterin, CvD und Redakteurin in der Berliner Lokalredaktion. Themenschwerpunkte: Bildungs- und Familienpolitik.

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