Bundestag zu Afghanistan: Merkels schwierige Mission

Der Bundestag billigt den Afghanistaneinsatz und debattiert über das Evakuierungsdebakel. Die Kanzlerin wirft Fragen auf – Antworten bleibt sie schuldig.

Angela Merkel im Bundestag

Es gibt wenig schönzureden: Angela Merkel bei ihrer Regierungserklärung am Mittwoch im Bundestag Foto: Markus Schreiber/ap

BERLIN taz | Es ist eine schwierige Regierungserklärung, zu der Angela Merkel an diesem Mittwochmittag im Bundestag ans Redepult tritt. Die Bilder von Menschen, die neben anrollenden Flugzeugen herrennen, von Eltern, die ihre Kinder unbekannten Soldaten anvertrauen, von Afghan:innen, die verzweifelt versuchen, irgendwie in den Flughafen von Kabul zu gelangen, um doch noch das Land zu verlassen – diese Bilder sind an jedem deutschen Küchentisch angekommen. Was auch für das dramatische Versagen der Bundesregierung gilt, das unter anderem die Ursache für diese Bilder ist.

Die Kanzlerin muss nun der Öffentlichkeit nicht nur dieses Debakel erklären, sie muss diese auch darauf vorbereiten, dass der Evakuierungseinsatz der Bundeswehr schon in wenigen Tagen enden wird. Dann werden die Deutschen entgegen ihrer Zusage viele der sogenannten Ortskräfte sowie Menschenrechtsaktivisten und Frauenrechtlerinnen, die sich für ein Afghanistan einsetzten, wie es der Westen ihnen versprach, zurücklassen.

Sie alle müssen jetzt um ihr Leben fürchten. Dietmar Bartsch, der Fraktionschef der Linken, wird das später in der Debatte den „schwärzesten Punkt in ihrer 16-jährigen Kanzlerschaft“ nennen.

„Die Entwicklungen der letzten Tage sind furchtbar, sie sind bitter“, sagt Merkel denn auch zu Beginn ihrer Rede. „Für viele Menschen in Afghanistan sind sie eine einzige Tragödie.“ Sie räumt erneut ein, dass die Bundesregierung die Lage vor Ort falsch eingeschätzt hat. Man habe unterschätzt, „wie atemberaubend schnell die afghanischen Sicherheitskräfte ihren Widerstand gegen die Taliban aufgeben würden“. Wie genau es zu dieser folgenschweren Fehleinschätzung kommen konnte, sagt sie nicht.

Waren die Ziele zu ehrgeizig?

Merkel verteidigt auch die späte Aufnahme der Ortskräfte. Man sei in einem Dilemma gewesen, sagt die Kanzlerin. Einen frühen Abzug von Mitarbeitern und Ortskräften deutscher Hilfsorganisationen hätten manche als vorausschauende Vorsicht gewürdigt, andere aber so gewertet, dass man die Menschen in Afghanistan im Stich lasse. Die Bundesregierung habe damals aber sehr gute Gründe dafür gesehen, nach dem Abzug der Truppen den Af­gha­n:in­nen wenigstens in der Entwicklungszusammenarbeit weiter zu helfen – „ganz konkrete Basishilfe von Geburtsstationen bis zur Wasser- und Stromversorgung“.

Dafür wäre man auf Ortskräfte angewiesen gewesen. Im Nachhinein sei es leicht, die Situation zu bewerten. Damals aber habe man entscheiden müssen. Merkel sagt den Hilfsorganisa­tio­nen der Region Unterstützung zu und spricht sich für Verhandlungen mit den Taliban aus. „Die Taliban sind jetzt Realität in Afghanistan. Diese neue Realität ist bitter, aber wir müssen uns mit ihr auseinandersetzen.“

Ziel müsse sein, so viel des Erreichten wie möglich zu bewahren. Das ursprüngliche Ziel sei realisiert, von Afghanistan seien keine neuen Terroranschläge mehr ausgegangen. Auch habe der Einsatz für viele individuelle Schicksale in Afghanistan Gutes bewirkt – die Kindersterblichkeit habe sich halbiert, der Zugang zu Trinkwasser und Strom sich deutlich verbessert. „Das war aller Ehre wert.“

Doch heute müsse man sich kritische Fragen stellen, sagt Merkel und zählt auf: Waren die Ziele zu ehrgeizig? Kamen unsere Werte bei der afghanischen Mehrheit an? Haben wir das Ausmaß der Korruption unterschätzt? So geht es weiter. Die Antworten, die Teile der Opposition seit vielen Jahren einfordern und Ex­per­t:in­nen zum Teil längst geben, bleibt Merkel schuldig.

„20 Jahre Krieg sind gescheitert“

SPD und CDU versprechen in der anschließenden Plenardebatte schonungslose Aufklärung, die Opposition fordert dies vehement. Während SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich dafür eine Enquete-Kommission einsetzen will, wollen FDP, Grüne und Linke einen Untersuchungsausschuss. Denn dort könnten Zeu­g:in­nen geladen und Dokumente eingesehen werden.

Scharf ist die Kritik der gesamten Opposition, nimmt man die AfD einmal aus, an der zu späten Evakuierung der Ortskräfte. Es hätten Hunderte Menschen mehr evakuiert werden können, wenn man früher damit begonnen hätte, kritisiert FDP-Fraktionschef Christian Lindner. Die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock wirft der Regierung vor, innenpolitische Ziele – den Wunsch nach Abschiebungen – über die außenpolitische Verantwortung gestellt zu haben.

Die Linke geht in der Kritik weiter. „20 Jahre Krieg sind gescheitert“, sagt Dietmar Bartsch, dessen Fraktion die Einsätze stets abgelehnt hat. „Die letzten Wochen sind unentschuldbar. Die Folgen Ihrer Fehler gefährden Menschenleben“ ruft Bartsch in Richtung Regierungsbank, wo neben der Kanzlerin auch Außenminister Heiko Maas (SPD), SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) sitzen.

In der Debatte merkt man aber auch, dass in gut fünf Wochen Bundestagswahl ist: Baerbock und Mützenich werfen sich gegenseitig vor, dass ihre Parteien Abschiebungen nach Afghanistan unterstützt hätten. Und Lindner fordert SPD und Grüne auf, eine Koalition mit der Linkspartei auszuschließen.

Linken-Frak­tionsspitze empfahl Abgeordneten Enthaltung

Am Nachmittag billigt der Bundestag mit 539 Jastimmen, 9 Neinstimmen und 90 Enthaltungen nachträglich den Evakuierungseinsatz der Bundeswehr. Die Bundesregierung hatte vergangene Woche den Einsatz von bis zu 600 Soldaten für die Evakuierungsaktion mit einer Frist bis Ende September beschlossen. Der Bundestag muss jedem bewaffneten Einsatz der Bundeswehr zustimmen, in Ausnahmefällen wie diesem, wenn Gefahr im Verzug ist, kann das auch nachträglich passieren.

Die Koalition, Grüne und FDP unterstützen den Einsatz, aus AfD und Linken waren unterschiedliche Stimmen zu hören. Die Frak­tionsspitze der Linken hatte ihren Abgeordneten eine Enthaltung empfohlen. Ihr Verteidigungsexperte Matthias Höhn kündigte jedoch schon vor der Sitzung an, er wolle zustimmen.

Jetzt müsse man zuerst an die Leute vor Ort denken, die dringend Hilfe brauchen, so Höhn. Ähnlich äußerte sich Ex-Parteichef Klaus Ernst. Der taz sagte er: „Ich halte diesen Einsatz in Afghanistan für den größten Fehlschlag in der Nachkriegsgeschichte. Aber jetzt ist es sinnvoll, so viele Menschen wie möglich zu evakuieren.“

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