Bundesverfassungsgericht kippt Gesetz: Unnötig kleinkariert

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass von Mord Freigesprochene nicht erneut angeklagt werden dürfen. Doch die Argumente überzeugen nicht.

Richter in roten Roben

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts während der Urteilsverkündigung am Dienstag Foto: Uli Deck/dpa

Eigentlich kann man stolz sein auf das Bundesverfassungsgericht. Es verteidigt die Grundrechte auch dann, wenn es um unsympathische und gefährliche Personen geht. Aber nicht jedes unpopuläre Urteil ist schon deshalb überzeugend, weil es unpopulär ist.

Aktuelles Beispiel: Karlsruhe hat jetzt ein Gesetz für nichtig erklärt, das die Wiederaufnahme von Strafverfahren nach einem Freispruch ermöglicht, wenn es neue überzeugende Beweismittel gibt, zum Beispiel eine DNA-Analyse, die früher noch nicht möglich war. Das Verfassungsgericht hat das Gesetz für nichtig erklärt, weil es gegen das grundgesetzliche Verbot der Mehrfachverfolgung verstoße.

Nun kann eigentlich in jedes Grundrecht – außer der Menschenwürde – mit einem verhältnismäßigen Gesetz eingegriffen werden, wenn es um den Schutz anderer Verfassungswerte geht. Dagegen soll jetzt das Recht eines mutmaßlichen Mörders, nach einem Freispruch nicht erneut vor Gericht gestellt zu werden, absolut geschützt sein. Das ist nicht stimmig. Man hätte die Karlsruher Strenge vielleicht nachvollziehen können, wenn es hier um den ersten Eingriff in das Verbot der Mehrfachverfolgung überhaupt ginge.

Aber es gibt ja bereits vier Ausnahmen: So ist durchaus ein neuer Prozess möglich, wenn der Freispruch auf einer gefälschten Urkunde beruhte oder wenn der Täter nach dem Freispruch ein Geständnis ablegt. Das alles soll laut Karlsruhe verfassungskonform sein, nur eine neue Beweislage muss aus verfassungsrechtlichen Gründen ignoriert werden. Das überzeugt nicht. Es hätte auch kein Dammbruch gedroht. Das gekippte Gesetz sollte auf Fälle von Mord und Menschheitsverbrechen anwendbar sein. Es hätte also wohl eh nur alle paar Jahre einen Anwendungsfall gegeben.

So ein Gesetz muss man als Gesetzgeber nicht machen. Aber wenn das Gesetz schon mal da ist, stärkt es auch nicht gerade das Vertrauen in den Rechtsstaat, dass es mit wenig zwingender Begründung gleich wieder für nichtig erklärt wird. Karlsruher Heldenmut ist gut – aber hier war er schlecht investiert.

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Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

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