CO2-Ausstoß 2019 stark gesunken: Klimaziel machbar und bedroht

Der deutsche CO2-Ausstoß sinkt 2019 deutlich. Könnte das Klimaziel doch noch erreicht werden? Das ist eher unwahrscheinlich.

ARCHIV - 08.11.2019, Nordrhein-Westfalen, Roggendorf: Hinter dem Braunkohlekraftwerk Niederaußem geht die Sonne unter.

So wird es nichts mit den Klimazielen: das Kohlekraftwerk Niederaußern im Volllastbetrieb Foto: dpa

BERLIN taz | Es klang wie eine Sensation: „Das Klimaziel Deutschlands, bis 2020 die Emissionen um 40 Prozent zu mindern, rückt überraschend in greifbare Nähe“, schrieb der Thinktank Agora Energiewende am Dienstag. In seiner Jahresauswertung 2019 konstatierten die ExpertInnen einen großen Fortschritt bei der CO2-Einsparung: minus 50 Millionen Tonnen, damit etwa 6 Prozent weniger Emissionen 2019 – und seit 1990 ein Minus von insgesamt 35 Prozent. Hatten sich alle KritikerInnen und die Regierung selbst getäuscht, die spätestens seit dem Koa­li­tions­vertrag von 2018 eingesteht, das Klimaziel 2020 werde verfehlt?

Keineswegs, hieß es nun, wenn man bei Agora nachfragt: Dass Deutschland 2020 noch einmal so kräftig Emissio­nen reduziert wie 2019, sei erst einmal eine theoretische Möglichkeit: „Es ist so gut wie ausgeschlossen, dass wir einen solchen Rückgang 2020 nochmals sehen werden“, sagt Agora-Direktor Patrick Graichen. „Dazu fehlen bisher schlicht der politische Wille und das Instrumentarium.“

Denn 2019 war ungewöhnlich günstig, das zeigen auch die Zahlen der „AG Energiebilanzen“, die ebenfalls gerade vorgelegt wurden. Nach fast zehn Jahren, in denen zwischen 2009 und 2017 die deutschen CO2-Emissionen praktisch nicht sanken, haben sie in den letzten beiden Jahren kräftig abgenommen.

Für Umweltministerin Svenja Schulze sind die Zahlen trotzdem auch ein Verdienst der Bundesregierung, die erste Braunkohleblöcke aus der Stromproduktion genommen habe, sagte die SPD-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur. Die Reform des Emissionshandels in der EU habe Kohlestrom teurer gemacht, mit den erneuerbaren Energien habe man Alternativen geschaffen. Jetzt müsse die Koalition die gesetzlichen Weiterentwicklungen zum Ausbau der Wind- und Sonnenergie schaffen. Schulze sagte, die Entwicklung mache Mut für die nächsten Schritte beim Klimaschutz. „Denn es zeigt: Politisches Gestalten lohnt sich.“

Keine Fortschritte bei den Sorgenkindern

Für 2019 sind die Gründe für den Erfolg deutlich: Wegen höherer Preise für CO2-Zertifikate im EU-Emissionshandel sank die Stromproduktion durch Steinkohle (minus 31 Prozent) und durch Braunkohle (minus 22 Prozent). Gas und die Erneuerbaren dagegen legten zu. Öko-Energie auf den neuen Rekordwert von fast 43 Prozent, weil viel Wind wehte, die Sonne schien und neue Anlagen ans Netz gingen. Dazu kam, dass der Energieverbrauch mit geringerem Wirtschaftswachstum zurückging.

Keinen Fortschritt gab es dagegen bei den „Sorgenkindern“ der Energiewende, Verkehr und Gebäuden: Hier stiegen die Emissionen sogar wieder an, weil mehr Benzin, Diesel und Gas verbrannt wurde, auch weil der Verkauf von spritschluckenden SUVs einen neuen Höchststand erreichte.

Ausbau der Windkraft dringend notwendig

Sorgen macht den Experten der Ausblick. Agora-Direktor Graichen warnt, dass „bei den Emissionen 2020 bis 2022 wieder ein Anstieg erfolgt“. Denn weil Ende 2019 das Atomkraftwerk Philippsburg vom Netz gegangen ist, wird die dadurch entstandene Stromlücke kaum mit neuen Wind- und Solaranlagen aufzufangen sein. „Der Ausbau bei der Windenergie ist in den letzten zwei Jahren um über 80 Prozent eingebrochen und somit fast zum Erliegen gekommen“, so Graichen. Die Bundesregierung müsse nun rasch die Rahmenbedingungen so ändern, dass die Windkraft wieder vorankomme. „Sie ist das Arbeitspferd der Energiewende, ohne Windkraft werden wir weder den Kohleausstieg noch die Klimaschutzziele erreichen.“

Fazit: Mag das Ziel für 2020 auch theoretisch „greifbar nah“ sein, das Ziel für 2030 – mindestens ein Minus von 55 Prozent – sieht er in Gefahr.

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