CTM-Festival in Berlin: Eintauchen in polyphone Klangwelten

Es gab ausgelassene Beats, thailändische Protest-Songs und tschechischen Drone-Folk. In Berlin fand die 25. Ausgabe des Festivals CTM statt.

Eine Person im grüngelben Bühnenlicht.

Die schwedische Organistin und Sängerin Anna von Hausswolff singt beim CTM Festival 2024 Foto: Roland Owsnitzki

„Flowers rot, bring me stones, I want a lot!“ – „Blumen verfaulen, bring mir Steine, ich will viele!“, singen die beiden Iren Paddy Shine und Phil Masterson von der psychedelischen Folk-Band Moundabout in einer betörenden Spirale der Wiederholung mit ebenfalls repetitiver Gitarrenbegleitung. Passend zu diesen und anderen bizarren bis makaberen, dennoch eingängigen Liedzeilen, in denen etwa Moorleichen besungen werden und die dem in Trance versetzenden Folk einen ironisch-düsteren Anstrich verleihen, fällt auch die Wahl der Location aus: Auf dem Gelände des Silent Green befand sich früher das Weddinger Krematorium.

Moundabout eröffnete mit diesem Konzert am Abend des 26. Januars die 25. Ausgabe des Festivals „für abenteuerliche Musik und Kunst“ CTM in Berlin. Unter dem Motto „Sustain“ fand dieses bis zum 4. Februar an verschiedenen Locations in Berlin statt.

Den zweiten Teil des Eröffnungskonzerts spielte die schwedische Organistin und Sängerin Anna von Hausswolff mit ihrer sechsköpfigen Band. Musikalisch gemahnte dieser Act an eine stellenweise überdramatische Fusion aus Kate Bush und Bendik Giske – dem Publikum gefiel es, insgesamt ein gelungener Festivalbeginn.

Weiter ging es direkt im Anschluss im Berghain mit einem angenehm abwechslungsreichen Programm für den sonst eher orthodoxen Technotempel. In der Panorama Bar wurde ausgelassen zu den Beats des weltbekannten US-amerikanischen DJs Skrillex getanzt, der ab 3 Uhr morgens b2b mit der Kameruner, in Paris lebenden DJ Tatyana Jane auflegte. Aber auch zum Set der von Skrillex an das CTM vermittelten DJ KENYA20HZ aus Rio de Janeiro ließ sich ganz ohne Beihilfe von synthetischen Pulvern die Hüfte schwingen.

Karaoke mit Protestsongs

Besonders ungewöhnlich und unterhaltsam war die Karaoke-Performance „Raveoke“ des thailändischen Künstlers Pisitakun und seines indonesischen Kollegen Ariel William Orah, bei der das Publikum Protestsongs aus beiden Ländern einstudierte und mitgrölte.

Die Protestkultur Südostasiens wurde ein paar Tage später bei einer der zahlreichen „Theorie“-Veranstaltungen im Radialsystem, die ebenfalls Teil des Festivals sind, noch kontextualisiert: Neben Pisitakun nahmen die französische Forscherin Eugénie Mérieau und die Noise-Künstlerin Pinky Htut Aung aus Myanmar am Nachmittag des 31. Januars an einer Diskussion zum Thema Teil.

Am selben Abend spielte dann der ukrainische Komponist Heinali ein Konzert im Radialsystem – einer der vielen musikalischen Höhepunkte des Festivals. In der Welt der experimentellen Musik erlangte Heinali durch einen unverwechselbaren Sound Bekanntheit: In seinen Stücken vereint er mittelalterlich inspirierte polyphone Melodien und Synthesizer. Die Mehrstimmigkeit seiner Musik erfüllte den gesamten Raum mit verspieltem Wohlklang, sodass man sich wie in einer Art Space-Kirche fühlt.

Erbauliche Performance

Die perfekt auf die sphärischen Sounds abgestimmten abstrakten Projektionen der Berliner Duos u-matic & telematique im Hintergrund verstärkten diesen Effekt noch. Selbst die kleinen Probleme bei der Übertragung störten das Eintauchen in die polyphone Klangwelt kaum, nach der knapp einstündigen Show war man vor allem eins: erbaut. Weiter ging es im Anschluss mit einer Performance der taiwanesischen audiovisuellen Künstlerin Sabiwa, die das Publikum in ihre paradiesische Welt aus psychedelischer Improvisation, ungewöhnlicher Videokunst und alltäglichem Ritual entführte.

Das Tanz-Kino „Last and First Men“ in der Volksbühne am darauffolgenden Abend konnte hingegen nicht überzeugen: Zwar waren sowohl die Tanzperformance der Neon-Dance-Kompanie, die auf dem CTM-Festival prämierte, als auch der Film des 2018 in Berlin jung verstorbenen isländischen Komponisten Jóhann Jóhannsson für sich genommen beide Meisterwerke, doch die Kombination aus beidem wirkte überladen.

Folgen konnte man dem apokalyptischen Narrativ des Films, das von der aufgezeichneten monotonen Stimme Tilda Swintons erzählt wurde, bei so viel Bewegung auf der Bühne jedenfalls nicht mehr. Dennoch ist eine positive Gesamtbilanz zu ziehen: Beim diesjährigen CTM-Festival wurde Musik aus der ganzen Welt und aus allerlei Genres in verschiedenen Settings – von Theorie-Talk über Tanzperformance und experimentelle Synth-Polyphonie bis hin zur Clubnacht mit Karaoke-Einlagen im Berghain – präsentiert, bekannte Musikgrößen und Newcomer teilten sich die Bühne und es war viel Neues zu entdecken.

Ausverkauftes Abschlusskonzert

Nicht alle Acts konnten gleichermaßen überzeugen, Highlights gab es aber viele: Einige der Veranstaltungen, wie das an gleich zwei Abenden stattfindende Konzert der jungen amerikanischen Orgelikone Kali Malone in der Gedächtniskirche oder das Abschlusskonzert am 4. Februar in der Volksbühne, waren restlos ausverkauft – zum Ärgernis der Festivalpass-Besitzer*innen, die 180 Euro ausgegeben und trotz des Versprechens „gewährt Zugang zu allen Veranstaltungen der CTM 2024“ beim Abschluss nicht dabei sein konnten.

Bei dieser letzten Veranstaltung spielte zunächst die in Berlin lebende tschechische Musikerin Petra Hermanova virtuos auf ihrer Autoharp und sang dazu strahlend-melancholische Melodien, während Elizaveta Suslova an der Orgel und Jon Eirik Boska an den Schlaginstrumenten an dem eigenwilligen wie schönen musikalischen Drone-Folk-Gemisch mit Gothic-Ästhetik mitwirkten. Die Bühne war für die Show zu einer Art dunklen Kirche umgebaut, die Performance eine gelungene Wahl, um das Festival abzuschließen. Schwächer fiel hingegen der zweite Teil des Abends mit der Schweizer Produzentin Aïsha Devi (früher: Kate Wax) aus: zu viel Autotune, zu viel Pathos, auch wenn es gute Momente gab.

Vom Boykottaufruf „Strike Germany“, der vor Festivalbeginn für Schlagzeilen gesorgt hatte, da ihm einige Künst­le­r*in­nen wie die Londoner DJ Manuka Honey gefolgt waren und ihre Teilnahme abgesagt hatten, war während der Veranstaltungen selbst wenig zu spüren. Devi jedoch nutzte ihre Show, um am Ende etwas ungelenk eine kryptische „spirituelle Dekolonisierung“ zu fordern. Entgegen dem Zensurmythos, der in der internationalen DJ-Bubble grassiert, hatte offensichtlich niemand die Absicht, sie daran zu hindern.

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