Carola Roloff über Gleichberechtigung von Nonnen: "Letztlich geht es um Macht"

Buddhisten haben bei Frauenrechten und sozialem Engagement viel zu lernen, sagt die Konvertitin Carola Roloff. Und weiß als Nonne, wovon sie spricht.

Durfte ihren christlichen Gott behalten: Carola Roloff. Bild: Miguel Ferraz

taz: Frau Roloff, warum hat Ihnen mit 20 Ihr Christentum nicht mehr gefallen?

Carola Roloff: Ich würde nicht sagen, dass es mir nicht mehr gefallen hat. Es war eher so, dass es mir auf bestimmte philosophische Fragen keine befriedigenden Antworten geben konnte. Ich habe mich als Jugendliche sehr stark in evangelischen Gruppen engagiert. Als ich 18 war, haben sich zwei Bekannte das Leben genommen. Das war eine schlimme Krise, und ich habe angefangen, mir die Frage nach dem Tod zu stellen. Ich hatte mit 14 ein Buch über Wiedergeburt gelesen. Jetzt, in der Krise, wollte ich mehr wissen und bin zu einem neuen, jungen Pastor unserer Gemeinde gegangen.

Und?

Er hat mich abgeschmettert und gesagt, dass Wiedergeburt mit dem Christentum nichts zu tun hat. Mit so etwas hatte ich gar nicht gerechnet, denn ich war die Sache eher naturwissenschaftlich angegangen: Löst sich der Geist beim Tod auf oder existiert er ähnlich wie Materie in anderer Form weiter? Nach dem Gespräch fühlte ich mich von dem Pastor wie eine Sünderin behandelt. Inzwischen vermute ich, dass er überfordert war.

Wen haben Sie dann gefragt?

Die Literatur. Hermann Hesses „Siddhartha“ hatte ich schon mit 16 gelesen, nun kam das tibetische Totenbuch. 1980 bin ich nach Hamburg gefahren, weil es dort einen tibetischen Lama und ein buddhistisches Zentrum gab, das auch Seminare über Tod und Wiedergeburt veranstaltete. Das hat mich gefesselt.

Wann wussten Sie, dass Sie Buddhistin werden wollen?

53, in Holzminden protestantisch aufgewachsen, hat nach dem Gymnasium zunächst eine Ausbildung als Arzthelferin absolviert und mehrere Jahre in Chirurgie und Notfall-Ambulanz eines Krankenhauses gearbeitet.

1980 ist sie zum Buddhismus konvertiert, wurde 1981 in Hamburg Novizin und 1985 in Taiwan als Nonne ordiniert.

Von 1981 bis 1996 studierte sie tibetisch-buddhistische Philosophie im Tibetischen Zentrum Hamburg. Danach Tibetologie und Klassische Indologie mit Schwerpunkt Buddhismuskunde an der Universität Hamburg. Promotion 2009.

Seit 2010 leitet sie an der Hamburger Uni ein DFG-Forschungsprojekt zur buddhistischen Nonnenordination. Weitere Forschungsschwerpunkte sind Frauenrechte im Buddhismus, Buddhismus in der Moderne sowie interreligiöser Dialog.

Als ich begriff, dass man nach buddhistischer Vorstellung viele Leben hat und bewusst durchgeführte Handlungen sich auf folgende Leben auswirken können. Man nennt das „Karma“. Diese Erkenntnis fand ich sehr befreiend.

Warum?

Weil mir Gerechtigkeit immer wichtig war. Und ich habe nie verstanden, warum manche Menschen mehr leiden als andere, und das Christentum mit seinem eigentlich gütigen Gott erklärt es ja nicht. Ich wollte wissen, ob es egal ist, wie ich mich verhalte. Als ich dann begriff, dass der Grund für das Leiden aus einem früheren Leben stammen kann, hatte ich den Eindruck: Ja, das ist es. Jetzt ist alles philosophisch wieder rund.

Wäre man also an schwerer Krankheit selbst schuld?

Diese Frage stellt sich aus unserer christlichen Sozialisierung heraus natürlich sofort. Aber im Buddhismus gibt es den Schuld-Gedanken nicht. Es geht da eher um ein „Ursache-Wirkung“-Prinzip. Das ist ein rationaler, eher naturwissenschaftlicher Ansatz: Gleiche Ursachen erzeugen gleiche Wirkungen, und wenn ich jemandem schade, kommt das in irgendeiner Form von Leiden zu mir zurück. Und man hat es ja in der Hand. Man kann ja selbst in den schlimmsten Situationen entscheiden, wie man sich innerlich verhält. Ob man zum Beispiel gegenüber einem Täter Hass entwickelt.

Auch unter Folter?

Das ist natürlich ein extremes Beispiel. Aber ja, wenn man in der Geistesschulung fortgeschritten ist, soll selbst das gehen. Dass das funktionieren kann, habe ich in Gesprächen mit tibetischen Mönchen und Nonnen erfahren, die jahrzehntelang widerrechtlich inhaftiert waren oder von den Chinesen gefoltert wurden und trotzdem Mitgefühl mit den Folterern aufbrachten.

Was haben Sie eigentlich nach dem Übertritt mit Ihrem christlichen Gott gemacht?

Das war ein schwieriger Punkt. Ich weiß noch, dass ich einige Monate danach zu meinem buddhistischen Lehrer gegangen bin und gesagt habe: „Ich habe früher immer zu Gott gebetet. Das habe ich jetzt eine Zeit lang nicht mehr getan, aber ich habe ein schlechtes Gewissen, denn er hat mir oft geholfen.“

Und Ihr Lehrer?

Er hat gesagt, ich müsse ja nicht Buddhistin werden. Als ich standhaft blieb, sagte er: „Du musst Gott ja nicht aufgeben. Er ist ein erleuchtetes Wesen und Du kannst ihn dir beim Meditieren irgendwo vor dir im Raum belassen.“ Ich habe es so gemacht und er ist immer noch da.

Beten Sie noch zu ihm?

Nein, ich bete meist zur Tara, einem weiblichen Buddha.

War Buddha nicht männlich?

Der historische Buddha schon. Aber in der Vorstellung des Mahayana-Buddhismus gibt es auch transzendente Buddhas, auch weibliche. Die Erleuchtung können – so hat es Buddha selbst gesagt – auch Frauen erlangen.

Die totale Gleichberechtigung.

Den Ur-Schriften zufolge schon, in der Realität weniger. Buddhistische Nonnen können in einigen Ländern immer noch nicht die höchste Weihe – die volle Ordination – bekommen. Auch können sie nicht überall den höchsten Grad des klösterlichen Buddhismus-Studiums erlangen.

Warum nicht?

Weil sich das Prinzip der Gleichberechtigung nach Buddhas Tod in einigen Ländern verlor, vermutlich kulturbedingt. Dabei geht es natürlich um Macht: Wenn Frauen nicht in religiöse Führungspositionen kommen, können sie nicht gleichberechtigt alle Rituale leiten und auch nicht an allen Gremiensitzungen, Beschlussfassungen und Problemlösungen teilhaben.

Entspricht diese Praxis der buddhistischen Lehre?

Nein. Die besagt ja, dass man mal als Mann, mal als Frau geboren wird. Dass der Geistesstrom sich fortsetzt und nicht per se männlich oder weiblich ist.

Wie reagieren die Frauen?

Seit den 1970er, 1980er Jahren gibt es Initiativen und Netzwerke asiatischer und westlicher Feministinnen, um die volle Ordination für Frauen wiederzubeleben.

Mit Erfolg?

Es herrschen starke Widerstände, aber ich glaube, jetzt kann das niemand mehr aufhalten. In Sri Lanka zum Beispiel ist der Nonnenorden bereits wiederbelebt.

Welches ist Ihr Part?

Ich studiere im Rahmen eines Forschungsprojekts zur buddhistischen Nonnenordination die Rechtstexte und versuche, sauber aufzuzeigen, dass die volle Ordination möglich ist, wie das geht und wie selektive Auslegung das Leben der Frauen heute behindert. Ich reise auch zu buddhistischen Frauenkonferenzen. Das ist dringlich – auch weil Religionen in modernen Gesellschaften unglaubwürdig werden, wenn sie hinter den Menschenrechten zurückbleiben.

Warum ordnet der Dalai Lama die Nonnenordination nicht einfach an?

Er hat es versucht. 2007 hatten wir an der Uni Hamburg einen internationalen Nonnenkongress organisiert. Am letzten Tag ist der Dalai Lama gekommen, und wir hatten versucht, alles so vorzubereiten, dass er dann sagen kann: „Ja, die volle Ordination für Frauen ist jetzt möglich.“

Aber?

In den letzten Wochen vorher hat es unglaublich starke Widerstände gegeben: Die tibetischen Zeitungen haben darüber geschrieben, ehrwürdige Mönche sind auf die Barrikaden gegangen, haben Bücher publiziert und dagegen gewettert. Damit war klar, dass der Diskurs in der tibetischen Mönchsgemeinschaft noch nicht beendet ist. Solange das so ist, will der Dalai Lama nichts anordnen, obwohl er es ordensrechtlich könnte. Er will den Rückhalt, weil er sonst die Spaltung der Exilgemeinde fürchtet.

Und jetzt?

Müssen die Frauen weiter werben und Gespräche führen, bis ein Großteil der Mönche überzeugt ist.

Manchen gilt der Buddhismus als wenig sozial. Stimmt das?

„Den Buddhismus“ gibt es so ja nicht. Man muss schauen, wie es in den einzelnen Ländern aussieht. In Korea etwa sind die Nonnen sehr stark sozial engagiert.

Warum?

Unter anderem, weil dort das Christentum immer stärker wird. Und es heißt ja immer: Konkurrenz belebt das Geschäft. Das funktioniert auch bei Religionen. Oder nehmen Sie die Vietnamesen hier in Deutschland, die ehemaligen Boat People. Hier in Hamburg gibt es ein großes Kloster, das fünf Nonnen leiten. Sie leisten eine unglaubliche Sozialarbeit. Und eine taiwanesische Nonne hat die weltweite größte buddhistisch-caritative Organisation, die Tzu Chi Foundation, gegründet. Auch in Japan gibt es positive Beispiele.

Genügend?

Prinzipiell habe ich den Eindruck, dass der Buddhismus vom Christentum in puncto „soziales Engagement“ viel lernen kann. Das geschieht auch schon. Die christlich-jüdisch sozialisierten Buddhisten, die konvertiert sind, geben wichtige Impulse.

Ziehen Sie mal ein Fazit: Empfinden Sie nach 30 Jahren als Buddhistin weniger Schmerz, wenn jemand stirbt?

Nein. Ich denke eher, dass der Schmerz noch stärker ist, weil ich ihn zulasse und weiß: Er braucht Zeit.

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