Causa Aiwanger: 25 Fragen – und gut ist’s?

In der Flugblattaffäre sind noch immer viele Fragen offen. 25 von ihnen bekommt Hubert Aiwanger jetzt von seinem Koalitionspartner schriftlich.

Aiwanger und Söder stehen nebeneinander, Söder spricht

Hausaufgaben für Aiwanger: Söder will rasch umfangreiche Antworten Foto: Frank Hoermann/imago

MÜNCHEN taz | Es ist Wahlkampf in Bayern, und fast könnte man meinen: business as usual bei den Regierungsparteien. Die CSU-Pressestelle verschickt am Dienstagvormittag eine Einladung zu einer „Radl-Tour zum Radi-Essen“ mit Parteichef Markus Söder. Gut, den bayerischen Ministerpräsidenten mit vegetarischer Kost zu sehen, ist etwas Besonderes, ansonsten ist es aber doch ein klassischer Söder-Wahlkampftermin.

Kurz zuvor hat auch das bayerische Wirtschaftsministerium kommende Termine von Minister Hubert Aiwanger verschickt: Am Freitag etwa besucht er das Unternehmen Proton Motor Fuel Cell in Fürstenfeldbruck, am Samstag hält er eine Festrede beim Karpfhamer Fest und am Sonntag ein Grußwort bei der Historischen Reiter- und Kutschengala in Oberschleißheim.

Doch in Wirklichkeit interessieren sich am Dienstagvormittag in Bayern nicht viele für Radi und Protonen. Während die Terminankündigungen in die E-Mail-Postfächer der Journalisten flattern, warten diese gespannt auf den Ausgang der Krisensitzung in der Staatskanzlei, dem ersten Aufeinandertreffen von Söder und Aiwanger seit Bekanntwerden der Flugblattaffäre.

In einer Sondersitzung des Koalitionsausschusses, die vor der regulären Kabinettssitzung anberaumt wurde, muss sich Aiwanger rechtfertigen: Was hat er mit dem Nazi-Pamphlet zu tun, dass Ende der achtziger Jahre an seiner Schule und insbesondere auch in seiner Schultasche auftauchte? Wer war sein Verfasser? Er selbst? Sein Bruder? Beide zusammen? Hat er es weiter verteilt? Dies wären mögliche Fragen, die man ihm stellen könnte. Was Hubert Aiwanger und sein Bruder Helmut in den vergangenen drei Tagen dazu zum Besten gegeben haben, hat den christsozialen Koalitionspartner bislang wenig überzeugt. Aber auch diese Sitzung, so wird bald klar, kann die Zweifel nicht zerstreuen.

Es ist kurz nach 12 Uhr, als dann schließlich Markus Söder im Prinz-Carl-Palais gleich neben der Staatskanzlei vor die Presse tritt. Allein. Hubert Aiwanger, der sich sonst so gern kritischen Fragen stellt, vor keiner Auseinandersetzung zurückscheut, ist nicht dabei. Und auch der für gewöhnlich recht redselige Ministerpräsident beschränkt sich heute auf das Nötigste. Nachfragen sind nicht gestattet, das kündigt Söders Sprecher gleich zu Beginn an.

Entlassung wäre „ein Übermaß“

Es sind zwei Kernbotschaften, die Söder in den folgenden sechs Minuten ganz offensichtlich rüberzubringen versucht. Zum einen: Er ist hier der Chef, der hart, aber besonnen durchgreift, der sich von einem widerspenstigen Aiwanger nicht auf der Nase herumtanzen lässt, sondern ihn wie weiland der Direktor des Burkhart-Gymnasiums in Mallersdorf-Pfaffenberg einbestellt und ihm aufzeigt, wo die roten Linien verlaufen. Zum anderen: Die Koalition ist nicht in Gefahr.

Zunächst wiederholt Söder in seinem abgelesenen Statement, was von dem Flugblatt zu halten ist, das seit Samstag nicht nur die Landespolitik beschäftigt: Ekelhaft, widerlich, übelster Nazijargon – das sind die Vokabeln, die der Ministerpräsident bemüht. Und ganz bestimmt kein Dummejungenstreich, da stecke eine „ganz andere Energie“ dahinter. Allein der Verdacht, es könne von Aiwanger stammen, beschädige das Ansehen Bayerns.

An ihm als Ministerpräsident sei es nun, verantwortungsvoll und vernünftig zu entscheiden – ohne „Vorverurteilung oder gar ein Übermaß“. Die auf anonyme Quellen gestützten Recherchen der Süddeutschen Zeitung (SZ) reichten für eine Bewertung des Sachverhalts aber nicht aus, so Söder. Aiwanger aktuell zu entlassen wäre „ein Übermaß“.

Es sei „wichtig, um diese Verdachtsmomente auszuräumen und jeden Verdacht zweifelsfrei zu zerstreuen, Gelegenheit zur Äußerung zu geben“, sagt Söder. Deshalb habe man Aiwanger heute gehört, ihn befragt. Um welche Verdachtsmomente es in seinen Augen genau geht, verrät Söder nicht. Nur um die Frage der Urheberschaft des Pamphlets? Welcher Verdacht müsste sich bestätigen, dass sein Stellvertreter nicht mehr tragbar wäre? Dazu äußert sich der Regierungschef nicht. Nur dass die heutigen Aussagen Aiwangers nicht ausgereicht hätten, erzählt er.

Aiwangers Ehrenkodex

Deshalb will Söder das Ganze nun schriftlich machen. 25 Fragen, kündigt er an, werde man Aiwanger übergeben, die dieser auch versprochen habe zu beantworten. Aiwanger habe sich auch bereiterklärt, „wenn noch vorhandene Schulakten da sind, die zu öffnen“. Er gebe aber auch zu bedenken, dass die Sache tatsächlich über 30 Jahre her sei und sich Aiwanger zumindest heute deutlich von dem Flugblatt distanziere, sagte Söder noch, fügte aber gleich noch hinzu, dass dies „kein Freispruch“ sei.

Dabei gibt es zwei Fragenblöcke in der Angelegenheit. Der eine betrifft das Tun und Lassen eines 16-jährigen Gymnasiasten in der niederbayerischen Provinz – also das, worauf auch Söder in seinem Statement größtenteils abhebt. Wie relevant dieser Block ist, der beispielsweise die Frage enthält, ob Aiwanger das Flugblatt an weitere Schüler weitergegeben hat, darüber gehen die Meinungen auseinander. Für SPD-Chef Florian von Brunn beispielsweise spielt das keine Rolle mehr, er findet, wer ein solches Machwerk als Schüler mit sich rumgetragen hat, hat in der Regierung nichts verloren.

Der andere Fragenblock betrifft allerdings den heutigen Hubert Aiwanger, immerhin Minister und stellvertretender Ministerpräsidenten. Hier stellt sich die Frage, wes Geistes Kind er ist, dann doch noch einmal deutlich dringlicher. Und hier fällt beispielsweise die Aussage aus seinem schriftlichen Statement ins Auge, es sei weder damals noch heute seine Art, „andere Menschen zu verpfeifen“. In Aiwangers Augen mag dies ehrenhaft sein, doch es geht schließlich nicht um das Verpetzen eines Freundes, der bei einer Schulaufgabe geschummelt hat. In der letzten Konsequenz würde die Aussage bedeuten, dass Aiwanger beispielsweise auch heute rechtsradikale Umtriebe in seinem politischen Umfeld für sich behalten würde, kämen sie ihm zur Kenntnis. Die Vorstellung eines Ehrenkodex nach Art der Omertà in der bayerischen Politik schmerzt dann doch.

Opposition will Sondersitzung des Landtags

Auch die Bemerkung, ihm sei „mit der Polizei gedroht“ worden, wenn er den Sachverhalt nicht aufkläre. Das Einschalten der Polizei bei einer Hetzschrift, die Holocaust-Opfer verhöhnt, heute noch als Drohung zu empfinden, lässt zumindest auf ein mangelndes Problembewusstsein und eigenartiges Rechtsverständnis schließen. Dasselbe gilt für die Formulierung, er sei auf das Alternativangebot, ein Referat zu halten, „unter Druck“ eingegangen. Eine Entschuldigung, ein Wort des Bedauerns? Fehlanzeige.

Und dann wäre da natürlich auch die Frage: Hat Aiwanger gelogen? Die Süddeutsche Zeitung behauptet, zumindest sie habe er angelogen. So habe er beispielsweise die Anfrage, ob er sich in der Schule für das Flugblatt habe verantworten müssen, als „Behauptung zu seiner Schulzeit“ zurückgewiesen. Am Samstag dann, als die SZ-Story veröffentlicht war, räumte er dagegen ein, zum Direktor einbestellt worden sein.

Die Opposition jedenfalls überzeugt Söders Aufklärungsstrategie noch nicht. SPD-Mann von Brunn etwa spricht von einer „schwachen Entscheidung eines schwachen Ministerpräsidenten“: Aiwanger habe zehn Tage Zeit gehabt, alle offenen Fragen zu klären. „Die Hängepartie vergrößert den Schaden für den Freistaat noch weiter. Das Mindeste wäre gewesen, dass Hubert Aiwanger sein Amt ruhen lassen muss.“

Und FDP-Fraktionschef Martin Hagen findet: „Die schwerwiegenden Vorwürfe gegen Hubert Aiwanger sind keine exklusive Sache zwischen CSU und Freien Wählern. Das betrifft ganz Bayern und darf nicht hinter verschlossenen Türen verhandelt werden.“ Gemeinsam mit den Grünen wollen SPD und FDP nun eine Sondersitzung im Landtag einberufen.

Verschnaufpause für Söder – und Aiwanger

Zumindest in einer Hinsicht ähnelt Söders Statement am Dienstag der vorausgegangenen Aussage Aiwangers vor den Koalitionären: Auch nach diesem bleiben viele Fragen offen: Was genau wurde Aiwanger gefragt, was hat er geantwortet, welche Antworten fanden die CSU-Teilnehmer unbefriedigend? Je mehr Söder die Sache freilich im Vagen lässt, desto weniger muss er sich später festlegen lassen – etwa auf mögliche Konsequenzen für Aiwanger.

Mit dem schriftlichen Fragekatalog verschafft Söder sich – aber auch seinem Stellvertreter – erst mal eine Verschnaufpause nach den turbulenten letzten Tagen. Ein mögliches Kalkül: Bis Aiwanger mit den Antworten rüberrückt, könnten sich die Gemüter etwas abgekühlt haben, so dass sich leichter über die eine oder andere ausweichend beantwortete Frage hinweggehen lässt. Kein Wunder, dass Aiwanger keine Frist gesetzt wurde. Die CSU gab sich mit dessen Zusage zufrieden, er werde die Antworten „rasch“ liefern.

Und dann? Dann werde man hoffentlich wieder vernünftig weiterarbeiten, sagt Söder. Die Zusammenarbeit mit den Freien Wählern habe sich bewährt, sei gut, und man wolle sie fortsetzen. „Es gibt auch keinen Anlass, etwas daran zu ändern.“ Und dann noch ein unüberhörbarer Wink mit dem Zaunpfahl an den abwesenden Aiwanger: „Koalitionen hängen übrigens auch nicht an einer einzigen Person. Es geht mit oder ohne eine Person im Staatsamt ganz genauso.“

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